Ein Beispiel dafür, dass die Interpretation durch einen Betrachter (Kunstwissenschaftler)- durchaus sehr problematisch verlaufen kann :

Wir haben das Beispiel, das ein Werk von uns selbst betrifft, dem Band Arche 2000, Die Kunstmedaille in Deutschland, Deutsche Gesllschaft für Medaillenkunst, Band 11, Herausgeber Wolfgang Steguweit, speziell dem Kapitel "Der künstlerische Wettbewerb zur FIDEM- Medaille "Arche 2000 ", Autor Martin Heidemann, entnommen.

Wir hatten dort eine Medaille eingereicht, die wir in der erwähnten Veröffentlichung-wie abgebildet- fanden:

Es fällt zunächst auf, dass in der Abbildung die beiden Hände, die einen Globus umfassen und halten, gegenüber der Senkrechten gedreht sind. Aus dem Vergleich der Vorder- mit der Rückseite hätte man durch entsprechendes Wenden der real vorliegenden Medaille sehen können, dass die gedachte Trennungslinie zwischen den beiden Händen mit der Position der Senkrechten auf der anderen Seite übereinstimmt. Dieses Vorgehen würde der Vernunft entsprechen - im Gegensatz dazu wurde hier dem rein Formalen den Vortritt gegeben: Die Schrift wird - koste, was es wolle- symmetrisch angeordnet, unter Vernachlässigung einer zur Senkrechten symmetrischen Handstellung, die sich ganz "natürlich" anbietet. Wer trägt wohl, wie abgebildet, einen Globus? Bei dieser Art der Abbildung wird auch die mögliche Assoziation der beiden Hände mit dem Bug eines Schiffes- schließlich hieß das Gesamtprojekt "Arche 2000" - praktisch unmöglich gemacht.

Die unten abgebildete Seite wird wie folgt kommentiert: "Von zwei Händen umschlossener Globus, über den ein Netz mit hervorgehobenen Verknüpfungspunkten (Satelliten ?) gebreitet ist." Die Annahme von Satelliten führt allerdings unmittelbar auf logische Widersprüche aufgrund der dargestellten wolkenähnlichen Gebilde.

Auf der Weltkugel sind- in der Struktur dem Internet ähnlich- miteinander vernetzte Knotenpunkte dargestellt: Seit geraumer Zeit dringt die Auffassung immer weiter vor, dass wir auf der Erde in einem System von miteinander vernetzten Komponenten leben, die sich gegenseitig stark beeinflussen (Siehe auch das Buch von Frederic Vester: Unsere Welt- ein vernetztes System: (Erstausgabe 1983)). Die Einzel- Komponenten können Finanzzentren, Wirtschaftszentren, aber auch natürliche Teilsysteme sein. Dieser Grundgedanke führt dann natürlich zur logischen Konsequenz, das Gesamtsystem in seiner Vernetztheit mit seinen internen Rückkopplungseffekten und nicht nur willkürlich herausgegriffene Komponenten des Systems zu beachten und zu schützen: die gesamte Erde also. Ein nicht ganz neuer Gedankengang.

Wir wollen die ziemlich verwegenen Deutung der miteinander vernetzten Knotenpunkte hier nicht weiter kommentieren. Sofern einem allerdings selbst nur eine ziemlich abstruse, in sich widersprüchliche Deutung einfällt, sollte man sich nach unserer Auffassung lieber auf das reine Beschreiben beschränken- und nicht eigene Waghalsigkeit noch mit einem Fragezeichen versehen und letztlich den unbefangenen Betrachter auf eine ziemlich abwegige Fährte führen. In solchen Fällen erscheint uns eine gewisse verbleibende Rätselhaftigkeit - die der Phantasie des Betrachters noch alle Freiheit lässt und ihn nicht "vorprogrammiert"- die bessere Variante zu sein.

Auf der Hinterseite der Medaille "Arche 2000" sind als Symbol zerstörerischer Einwirkungen des Menschen auf die Erde insgesamt vier Hände in unterschiedlicher Position abgebildet. Eine Hand wird dabei völlig verständnislos wie folgt kommentiert :"... die Hand oben mit ausgestrecktem Zeigefinger auf eine spiralförmig wiedergegebene Sonne (?) gerichtet,.. ". Die Deutung der wirbelförmigen Struktur als Sonne - hier auch mit einem Fragezeigen als Symbol der eigenen Ratlosigkeit versehen, ist zum Vorgehen des Kunstexperten auf der vorher kommentierten Seite der Medaille kongenial. Eine wirbelförmige Struktur legt wohl eher eine Assoziation zu einem "Badewannenwirbel" oder zu einem "alles verschlingendem schwarzen Loch" nahe. Die bei der Wirbelstruktur etwas tiefgründigere Assoziation zu einer "Singularität", einem Begriff aus der Mathematik, Physik und Technik- der aber auch in der Geschichte verwendet wird, ist hier zum grundlegenden Verständnis gar nicht notwendig. Die vom oberen Rand der Medaille schlaff herabhängende Hand wird beschrieben durch die Redewendung : ".. vom Rand oben dringt eine weitere Hand in weisendem Gestus nach unten.". Ein "weisender Gestus" ist durchaus korrekt erfasst worden- nur dass sich der Gestalter der Medaille nach Kräften bemüht hat, offenbar in diesem Falle vergeblich, der darunter liegenden - von rechts nach links weisenden - Hand den "weisenden Gestus" zuzuordnen. Dass es sich bei der Darstellung der vier Hände um einen möglichen Hinweis auf "schädliche" Aktivitäten des Menschen (Hände!) bezüglich der Natur (siehe Abbildung) handeln könnte, geht bei solchen - wie oben zitierten - Kommentaren völlig unter. Die hier ganz augenscheinlich demonstrierte Ratlosigkeit des "Experten" erscheint uns ziemlich kontraproduktiv zu sein: Da möge er doch in einer solchen Situation lieber schweigen und dem Betrachter das Feld überlassen. Als Betrachter dieser Medaille würden wir nach dem Lesen von solchen "Deutungen" - dazu noch mit Fragezeichen versehen- ziemlich ratlos, um nicht zu sagen "etwas verwirrt" sein und von einer eigenen, sinnvollen Deutung , die durchaus sogar bis in den religösen Bereich gehen kann, eher abgeschreckt sein. Es liegt dann wohl der Gedanke nahe: Wenn der Experte schon damit nichts anfangen kann, dann wird es mir wohl erst recht nicht gelingen.

Es gibt keine falsche oder richtige Interpretation, das wollen wir hier nochmals betonen, sondern nur mehr oder minder angemessene, mehr oder weniger schlüssige Interpretationen. Wir haben dieses Beispiel einer Interpretation hier auch präsentiert um zu zeigen, dass jeder Betrachter eben gerade das Werk bekommt, das er verdient.

Wir wollen diese Betrachtung hier ziemlich ratlos und verwundert beenden. Sie zeigt uns allerdings, dass interpretationsoffene Werke in bestimmter Umgebung offensichtlich auf wenig Verständnis und somit auch auf geringe Akzeptanz (siehe die Theorie von Herbert Laszlo, die Unterforderung und die Überforderung des Betrachters betreffend) stoßen- auch dort, wo wir eigentlich anderes vermutet hätten.

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