" Von der Sinnlosigkeit, siegen zu
wollen
Das Siegenwollen heizt Konflikte an, denn
siegen wollen viele, sich besiegen lassen aber nur wenige. Auf das Siegenwollen
zu verzichten, erfordert keinen Verzicht auf Konflikte, nur eine Relativierung
des Anspruchs, als Sieger aus ihnen hervorzugehen. Im Sieg sehen viele Sinn,
aber den mühsamen Weg zum erhofften Sieg bereits als sinnvoll zu betrachten,
macht eine mögliche Niederlage erträglicher.
Den Sieg allein als Sinngebung zu akzeptieren, sich nur auf dieses Ziel zu fixieren,
macht eine mögliche Niederlage fürchterlicher. So groß kann die empfundene Schmach
dann sein, dass zumindest vorübergehend ein Weiterleben kaum noch denkbar erscheint.
Daraus ergibt sich die Maxime: Nie siegen wollen! Der Verzicht auf das Siegenwollen
fällt leichter, wenn die Verluste klarer werden, die Siege mit sich bringen
können. Nur in der formalen Logik, die Widersprüche ausschließt, kann der, der
siegt, nicht zugleich verlieren. Die Logik des Lebens aber hegt offenkundig
eine Vorliebe für Widersprüche, sodass Siege nicht nur den Besiegten, sondern
auch den Sueger zum Verlierer machen können."
Wilhelm Schmid: Dem Leben Sinn geben, Seite 254, Suhrkamp Verlag, 2013, ISBN 978-3-518-42373-8
"Ausgerechnet das Gefühl der Stärke macht Sieger schwach, nicht zuletzt
aufgrund der Zufriedenheit und Selbstzufriedenheit, der sie sich hingeben. ...
Im Gefolge des Rausches, der sich dem süßen Gift des Erfolges verdankt, geht
alle kluge Rücksicht, Umsicht, Vorsicht und Voraussicht verloren: Was soll jetzt
noch passieren? Innerhalb von zwei Jahrzehnten fand sich der selbsternannte
Sieger im historischen Duell Kapitalismus gegen Sozialismus nach zahlreichen
"Deregulierungen" am Rande des Abgrunds einer einstürzenden Weltwirtschaft
wieder."
Wilhelm Schmid: Dem Leben Sinn geben, Seite 256, Suhrkamp Verlag, 2013, ISBN 978-3-518-42373-8