LUST, 2004

Zitate aus: Wilhelm Schmid: Schönes Leben ? Einführung in die Lebenskunst , Suhrkamp Verlag, 2005, ISBN 3-518-06827-X

Seite 48:Auf Aristoteles und Montaigne lässt sich Bezug nehmen , wenn es in der reflektierten Lebenskunst um die Ästhetik des Gebrauchs der Lüste geht, beruhend auf der Selbstmächtigkeit, sich den Lüsten nicht einfach nur auszuliefern, und der wählerischen Haltung, selbst darüber zu bedinden,

1. welche Lust,

2. wann,

3. wie lange,

4. mit wem,

5.in welcher Situation,

6. in welchem Maße und

7. bis zu welchem Punkt zu gebrauchen ist, verbunden mit einer Verfügungsmacht über die Techniken , die einzusetzen sind, um Lust zu erzeugen und zu genießen. Sich lediglich" gehen zu lassen" , kann nicht als Kunst im Umgang mit den Lüsten gelten; diese Art von Freiheit stellt keine besonderen Anforderungen an das Selbst.

.... Die Klugheit des Gebrauchs erfordert zudem, im Anderen, mit dem die Lust gemeinsam genossen wird, nicht nur ein Mittel zum Zweck, sondern einen Selbstzweck zu sehen, wie dies das Selbst einem Anderen ja auch für sich selbst abverlangt.

Seite 50

Vergessen blieb angesichts der Dominanz des Sex, dass es noch andere und vielhältigere Lüste als die isolierte Lust des Geschlechts gibt: Lüste der Sinne, also des Sehens, Hörens, Riechens, Schmeckens, Tastens und Spürens, die ein inniges Genießen gestatten; Lüste des Denkens und der Reflexion, die sich in der Distanz der Abstraktion vollziehen; Lüste des Träumens und der Phantasie, in denen das Selbst fern ist von jedem Kalkül; Lüste der Erinnerung , die das gelebte Leben zu wiederholen erlauben; Lüste der Lektüre und des Gesprächs, die die Weite des Lebens zwischen Einsamkeit und Geselligkeit erfahrbach machen; Lüste des Lachens in allen Variationen , die Körper, Seele und Geist zugleich in Variationen versetzen; Lüste des bloßen Seins, die sich der Muße und Gelassenheit verdanken;; Lüste des nomadischen Seins, die aus der vielfältigen Begegnung mit Anderen und Anderem resultieren......

Alles gewinnt Sinn durch die Erotik, sie ist der umfassende Reichtum und der grundlegende Reiz, der die Rettung des Lebens bedeutet, auch wenn sonst nichts mehr von Bedeutung ist.

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