Einige Bemerkungen zur Kunstkritik

Hinweis: Die zitierten Werke werden in der Folge nicht um ihrer selbst willen, sondern als Erörterungsgrundlage, Argumentationsunterstützung und sachbezogene Ergänzung aufgeführt, somit besteht eine innere Verbindung zwischen dem zitierten und dem zitierenden Werk. Der Schwergewicht dieser Webseite liegt auf der eigenen geistigen Auseinandersetzung mit dem hier behandelten Thema- die Zitatsammlung ist also hier als unterstützendes, sachbezogenes Hilfsmittel für die eigene Argumentation anzusehen.


Hanno Rauterberg: Und das ist Kunst? Eine Qualitätsprüfung
S.Fischer Verlag
2007
ISBN 978.3-10-062810-7

Seite 197

"Die Kunst ist frei, und der Betrachter ist es ebenso. Er darf Ich sagen und dieses Ich gegen alle Künstler, Händler, Kritiker behaupten. Er muss sich nicht von anderen erzählen lassen, was er sehen soll. "

Seite 75

Wer sich als Kritiker im Unverbindlichen verschanzt, der macht nicht nur den Kritiker unangreifbar, er befördert auch die Künste ins Niemandsland der Beliebigkeit. Verlangt wird vom Kritiker, dass er sich kritisierbar macht, indem er seine Kriterien offen legt und seine Maßstäbe herausarbeitet. So könnte er zeigen, dass sich über Kunst und Geschmack sehr wohl streiten läst. Und er könnte andere ermuntern, sich auf diesen Streit einzulassen.



Cory Gillilland : Art Criticism and Medals

Medailles: The magazine of Federation Internationale de La Medaille D'Art, Art Medal World Congress FIDEM XXX, Colorado Springs 2007, 2008

page 63

describes different methods of critism
"You cannot legitimately want or hope for anything from art except quality. And you cannot lay down conditions for quality.
Judging art is subjective and cannot be objective. Criticism is an art , not a science."


Wolfram Völcker
Was ist gute Kunst ?
Hatje Canitz Verlag
2007
ISBN 978-3-7757-1976-6

Seite 21

"Wenn das Wort „Qualität“ auftaucht, dürfte es häufig schlicht und ergreifend um Einfluss und Besitzstandswahrung. Etwa wenn Kunsthändler und Sammler von Qualität sprechen, wobei das existentielle Bezugssystem dann allerdings meistens relativ offen vor einem liegt. Schwieriger, wenn Kuratoren und Künstler hinzukommen und wenn es dann um Netzwerke geht, die vom Konsens leben, sich durch das Urteil, was qualitätsvoll ist und was nicht, verständigen und sich ihres Zusammenhalts versichern. Und spätestens an diesem Punkt wird die Offenheit und Neugier in der Kunstbetrachtung allemal wichtiger als das vielbesungene Qualitätsbewusstsein . Die Offenheit, sich bei jedem Künstler auf neue, eigene Kriterien einzulassen, sich bei jedem Gemälde erneut zu fragen, welchen Weg der Maler hier eigentlich geht, und ob das Bild einlöst, was der Künstler mit ihm wollte. Daher aufgemerkt! Wenn es um Qualität geht, geht es oft um Macht.

Nie wird ein Kriterium reichen, um sich über die Qualität von Malerei zu verständigen oder gar ein Urteil fällen zu können."


Lüddemann, Stefan:
Kunstkritik als Kommunikation. Vom Richteramt zur Evaluationsagentur.
Deutscher Universitäts -Verlag, Wiesbaden 1994,
ISBN 3-8244-4565-4

125
"... Dabei legt der Zustand der aktuellen Kunst das Primat eines verstehenden Zugangs nahe. Nach dem Ende der Avantgarden, die eine Verbindung von Kunst und Leben (persönliche Frage : Stimmt das überhaupt ?) anstreben, gibt es keine Stile mehr, die Verbindlichkeit beanspruchen könnten. Damit sind auch die Maßstäbe zerfallen. Insofern benötigt diese Konsequenz: Die Künstler und ihre Werke lassen sich nur noch als Einzelphänomene auf ihre Konsistenz hin überprüfen, "Ist der Stil die moralische Haltung und die Formgenauigkeit, mit denen der einzelne Künstler der Wirklichkeit seiner Zeit begegnet? Solcher Rückzug auf die Kohärenz der einzelnen künstlerischen Aussage scheint jedoch mit dem Verlust ästhetischer Faszination erkauft zu werden." Eine andere Erfahrung ist vielleicht bekannter - ein ästhetisches Objekt wird erläutert, mit Begriffen erklärt, mit Kategorien, es wird gerechtfertigt, und man fühlt sich in seiner Empfindung genötigt, ja man wird durch Gründe und Grundsätze überredet, es gelungen zu finden. Der Autor formuliert auch den Gegensatz zu dieser, seiner Ansicht nach negativen ästhetischen Erfahrung. Petersdorff besteht auf dem "Gück vor der Kunst", das er von allen Versuchen des Verstehens ausdrücklich abgrenzt. Danach müsste es möglich sein, den Genuss der Kunst von deren Verständnis zu trennen. Und es müsste eine Kunstkritik geben, die ästhetisch wertet, ohne zu erklären. Die Diskussion des Ansatzes der analytischen Ästhetik hat gezeigt, dass es keine Wertung geben kann, die blind für die Sache ist, um die es geht. Kunstkritik muss sich auf ihren Gegenstand verstehen, wenn sie sinnvoll werten will. Insofern benötigt sie eine hermeneutische Grundierung.

Diesem Ansatz entspricht die Überzeugung, Kunstkritik könne als Instanz der Erkenntnis fungieren, zugleich soll Kunstkritik jedoch über die bloße Interpretation hinaus an einer ästhetischen Wertung festhalten. Das Verstehen verhilft der Kritik zu einem angemessenen Umgang mit moderner Kunst, die in der Rezeption nur erschlossen werden kann, wenn ein Zugang zu ihrem jeweiligen "Funktionieren" gefunden wird.

Damit erreicht Kunstkritik den Stand des Problems, das mit bloßen Geschmacksurteilen verfehlt wäre. "

 

Seite 94

Drei verschiedene Ausprägungen von Kunstkritik:

bewertende Kunstkritik

verstehende Kunstkritik

kontextuelle Kunstkritik

Seite 110

Die wertende Kunstkritik bezieht sich auf die sinnlich wahrnehmbare Dimension des Kunstwerks. Sinneseindrücke werden benannt und zur Grundlage der Bewertung gemacht. Der Kritiker wertet in den grundsätzlichen Alternativen von Gefallen und Missfallen. Das betrifft den Kunstcharakter der besprochenen Werke. Seine Ausführungen sind stark deskriptiv orientiert. ...

Dir verstehende Kunstkritik erläutert das Kunstwerk. Sie bringt Informationen aus Kontexten bei, ordnet Kunstwerke Epochen. und Stilbegriffen zu. Die Form der Kritk erklärt das "Funktionieren" des Kunstwerkes mit dem Rückgriff auf die Intention des Künstlers. Diese Spielart setzt den Kunstcharalter der betrachteten Kunst meist als bewiesen voraus und reagiert damir auf Pluralisierung des Kunstbegriffs in der Nachkriegszeit, Sie begreift sich als Vermittlung, die sich einer expliziten Wertung oft sogar ganz enthält. Die sinnlichen Eindrücke des Kritikers bleiben im Hintergrund; seine ästhetischen Vorlieben werden nicht thematisiert.

Die kontextuelle Kritik ist die historisch jüngsteder drei genannten Formen. Sie wendert sich von einem traditionellen Werkbegriff ab und sieht die Kunst als Teil eines intellektuellen Diskurses. In diesem Zusammenhang wird Kunst den Formen der theoretischen Diskussion nebengeordnet. Diese Verständnis geht über die aus der Hermeneutik bekannten Betrachtungen von Kontexten zur Werkinterpretation weit hinaus. Kunst steht nicht im Zentrum, sondern wird auf ihre Anschlussfähigkeit für den Diskurs geprüft. Fragen der sinnlichen Anschauung, erst recht Begriffe einer Geschmacksbeurteilung spielen keine Rolle mehr. Die Beurteilung von Kunst ergbt sich indirekt aus ihrer Fähigkeit, die intellektuelle Debatte zu befördern. Dieser Form der Kritik kann die Diskussion des Begriffes "Kontext" als theoretischer Hintergrund zugeordnet werrden.

Seite 7
Kunst bietet der Kommunikation die Chance, sich neu zu orientieren. Kommunikation wiederum entfaltet das Potenzial der Kunst und produziert Angebote, den Kunstbegriff fortlaufend neu zu justieren. "Der Sinn wird nicht in einem Werk aufgespührt, sondern im Rahmen eines intersubjektiven, diskursiven Geschehens produziert" (Schmidt-Wulfen , 2001). Kunstkritik nimmt in diesem Geschehen eine Mittlerfunktion wahr, weil sie Wahrnehmung artikuliert und an das Diskursgeschehen in Gestalt von Kommunikationsofferten weitergibt.

Kunstkritik untersucht Kunst auf ihre Anschlussmöglichkeiten für Sinnproduktion, die sich darin zeigt, dass Wahrnehmungen zum Gegenstand einer Interpretation in der Gesellschaft werden können.

Erst in der Kommunikation können die Wirklichkeitsmodelle, die Kunst anbietet, in deren möglichen Geltung bewertet werden.

Seite 8
Ergebnis der Kunstkritik ist eine Offerte an die in ihrer Umwelt umlaufende Kommunikation unterschiedlicher Diskurse. Die Offerte macht ein Angebot, wie die irritierende Erfahrung der Kunst produktiv gemacht werden kann.

Seite 9
Als zeitgemäße Variante favorisiert die vorliegende Untersuchung die evaluative Kunstkritik, die Kunst mit Blick auf die von ihr angebotenen Wirklichkeitsmodelle erprobt und dafür artikulierte Wahrnehmung mit Kommunikationsofferten verbindet.

Unterschieden von dieser Ausprägung von Kunstkritik werden die verstehende, die wertende und die kontextuelle Kunstkritik, die an späterer Stelle als jeweils einseitige und deshalb defizitäre Formen der Kunstkritk beschrieben werden sollen.

Seite 15
Zunächst erscheint die Kunstkritik als unverzichtbare Instanz der Kunstrezeption, weil sie aus Erlebnis und Analyse von Ausstellungen eine ganze Reihe von divergierenden Kommunikationsofferten ableitet, die dann im öffentlichen Diskurs weiter bearbeitet werden können.


Christian Saehrendt, Steen T. Kittl:
Das kann ich auch,GEBRAUCHSANWEISUNG FÜR MODERNE KUNST
Du Mont Literatur und Kunst Verlag Koln, 3. Auflage 2007
ISBN 978-3-8321-7759-1

Seite 172

"Wenn Sie doch mal einem phrasendreschenden Kunstexperten ausgeliefert sind, nehmen Sie ihn einfach beim Wort! … Bestehen Sie auf einfachen Antworten, auch auf scheinbar naive Fragen. Hier zeigt sich, wie leicht man mit der Taktik des Understatements die Experten abkochen kann. Das hat einen einfachen Grund. Denn das Sprechen über Kunst ist paradox. Die Sprache versucht, das Kunstwerk zu erfassen, doch ein entscheidendes Merkmal ist ja gerade das „Begriffslose“. Es bleibt immer ein unerklärlicher Rest, den man fühlen muss- wie beim Musikgenuss. Versucht man, sich im Sprechen über Kunst diesem Punkt zu nähern, stößt man irgendwann an die Grenzen des Beschreibbaren. Es gehen uns im wahrsten Sinne die Worte aus, Sobald man sich einem Detail des Kunstwerks nähert, entgleitet das Ganze. Und unter diesen Schwierigkeiten fängt man auch noch an, über die exakte Bedeutung der Worte nachzudenken! Doch genau darin liegt ein Reiz des Sprechens über Kunst. Im Versuch, das auszudrücken, was wir sehen, aber nicht verstehen, entdecken wir möglicherweise etwas von uns selbst. Umso stärker nehmen wir jetzt Floskeln und hochtrabende Nullsätze in unserer Umgebung wahr. Wir merken, wie schnell sich Kunstkenner vom Kunstwerk selbst abwenden, um mit Hintergrundwissen über die Biografie des Künstlers, Details zur Entstehungsgeschichte des Werks oder mit philosophischen Verweisen anzugehen. "

Seite 181:

Die Sprachlosigkeit des Publikums führt manchmal auch zu handfester Aggression. Viele Kunstwerke wirken leer und stümperhaft. Trotzdem werden sie groß gefeiert. Bei vielen Betrachtern wächst der Verdacht, die Kunstgesellschaft leugne aus Eitelkeit und materiellen Interessen die Nichtigkeit der Werke. Andersens Märchen Des Kaisers neue Kleider scheint hier wahr geworden zu sein. Man hasst geradezu , was da im glänzenden Rahmen der Galerien und Museen so armselig und öde daherkommt. Diese Reaktion ist allerdings von manchen Künstlern oder Ausstellungsmachern vorausberechnet; Sie wollen stören und die passive Konsumhaltung des Besuchers verändern, indem sie ihn ärgern und damit hoffen, Diskussionen und Nachdenklichkeit zu erzeugen. Es soll sogar Ausstellungen geben, die mit voller Absicht möglichst langweilig gestaltet wurden- als konzeptionelles Gegengewicht zur lärmigen Spektakelsucht des Kunstbetriebs.



Pablo Picasso
1952

An mehreren Stellen haben wir eine Äußerung von Pablo Picasso aus dem Jahr 1952 gefunden. . In wieweit dies alles zuverlässige Quellen sind, können wir nicht beurteilen. Falls der Leser in dieser Hinsicht skeptisch ist, möge er das Zitat selbst im Internet an den verschiedenen zitierenden Stellen aufsuchen und sich ein eigenes Urteil bilden.

Zitat :" Seit die Kunst nicht mehr die Nahrung der Besten ist, kann der Künstler sein Talent für alle Wandlungen und Launen seiner Fantasie verwenden. Alle Wege stehen einem intellektuellen Scharlatanismus offen. Das Volk findet in der Kunst weder Trost noch Erhebung. Aber die Raffinierten , die Reichen, die Nichtstuer und Effekthascher suchen in ihrer Neuheit, Seltsamkeit, Originalität, Verwstiegenheit und Anstößigkeit. Seit dem Kubismus, ja schon früher, habe ich selbst alle diese Kritiker mit zahllosen Scherzen zufriedengestellt, die mir einfielen nd die sie umso mehr bewunderten , je wweniger sie ihnen verständlicgh waren. Durch diese Spielereien, diese Rätsel und Arabesken habe ich mich schnell berühmt gemacht. Und der Ruhm bedeutet für den Künstler: Verkauf, Vermögen, Reichtum. Ich bin heute nicht nur berühmt, sondern auch reich. Wenn ich aber allein mit mir bin, kann ich mich nicht als Künstler betrachten im großen Sinne des Wortes. Große Maler waren Giotto, Tizian, Rembrandt und Goya. Ich bin nur ein Spaßmacher, der seine TzEit verstanden hat und alles, was er konnte, herausgeholt hat aus der Dummheit , der Lüsternheit und Eitelkeit seiner Zeitgenossen. "

Es ist für uns nicht eindeutig ersichtlich, ob diese Worte Picassos - soern sie überhaupt so geäußert worden sind - "ernst" gemeint waren oder mit einem Hintersinn geäußert worden sind. Es gibt schließlich einen Spruch , der anfängt mit den Worte: Die Selbstkritik hat viel für sich, ....

Sein Wertemaßstab und seine Vergkleichsbasis erscheinen uns auch extrem überzogen. Es gab und hatte gegeben zur Zeit der zitierten "mutmaßlichen" Äußerung durchaus nicht wenige wirklich große Maler. Sollte das nicht auch Picasso geahnt oder gesehen haben.

Trotz dieser Bedenken wollten wir das Zitat dem Leser nicht vorenthalten - als kleines interessantes Mosaiksteinchen zum Formen eines eigenen Bildes und einer Meinung.

Angeblich wurde diese Aussage von Picasso - stark vergrößert, im Schaufenster einer Kunstgalerie in Zurich asgestellt. Bereits nach kurzer Zeit bekam der Galerist eine anonyme Drohung: Wenn der Brief nicht sofort verschwindet, wird das Schaufenster eingeschlagen."

Offensichtlich hatte der Drohende nur ein sehr eingschränktes künstlerisches Einfühlungsvermögen und überhaupt keinen Humor und keine kritische Distanz. : Die vorgeblichen Äußerungen des Künstlers können doch ihrerseits als Kunst aufgefasst werden. Sehen wir da nicht eine gewisse Intoleranz am Werke ?


Stefan Heidenreich
Was verspricht die Kunst?
Berliner Taschenbuch Verlag
2009
ISBN978-3-8333-0582-5

S 207

Mit Kunst kaufen sich Sammler von ihren kulturellen Minderwertigkeitsgefühlen frei…. Eigenschaften, für die Kunst steht, sollen auf deren Besitzer abstrahlen. Sowohl an der märchenhaften Schaffenskraft oder Kreativität der Künstler, als auch an ihrer Unsterblichkeit und Originalität erwerben sie Anteile. …

Dass es sich bei der Kreativität, der Genialität oder dem Schöpfertum weniger um etwas handelt, das Künstler anderen Menschen voraushaben, sondern eher um Ergebnisse von Erzählschablonen , die die Institutionen jedem Künstler zuweisen, wird dabei leicht übersehen.

Seite 185

Das Doppel von Kunstwerk und Erklärung bietet mehr an als nur den Kurzschluss des Verstehens. Er erzeugt einen Kreis von Kennern, die einer bestimmten Kunstrichtung huldigen. Eine Theorie und deren Sprechweise braucht dazu weder einfach noch leicht begrifflich zu sein, sondern erfüllt die Aufgabe umso besser, je unverständlicher und hermetischer sie auftritt. Den Wucherungen des Jargons sind innerhalb einer Diskussionsgemeinschaft keine Grenzen gesetzt, vermittelt sie doch nach innen das Gefühl von Zusammengehörigkeit und sorgen nach außen für den Ausdruck von Kompetenz.

209
Dem Publikum, das nicht von Fachkenntnissen belastet ist, dient Kunst genau wie jedes andere Feld unterscheidbarer Dinge und Aussagen als eine Projektionsfläche des persönlichen Geschmacks. Es bezieht mit seinem Urteil eine Stellung zur Kunst, aber es sagt weit weniger über das Werk, als vielmehr über sich selbst. Ob man ein Werk mag oder nicht. Das Werk bleibt davon unberührt. Als Angebot zur Identifikation deckt Kunst ein großes Feld ab, stellt sie doch nicht nur eine Reihe feiner Unterschiede zwischen Dingen und Ereignissen her, sondern entwirft parallel dazu einen historischen und theoretischen Hintergrund. Bei der Auswahl seiner Vorlieben steht es dem naiven Betrachter nicht nur frei, das Werk zu verstehen, wie er will, es ist auch völlig unerheblich, ob er sich das ihm unterstellte Verständnis aneignet oder nicht, solange es ihm gelingt, in der Kunst zu sich selbst zu finden.


Jörg Heiser
Plötzlich diese Übersicht
Was gute zeitgenössische Kunst ausmacht
Claasen Verlag
3. Auflage, 2007
ISBN 978-3-546-00402-2

Seite 347

Die interessante Kunst der Gegenwart lässt jene dumm aussehen, die der Versuchung nicht widerstehen können (und in diese Falle tappt jeder immer mal wieder), sie normativ festzuschreiben.

(Denn) die Kunst ist immer auch eine Auseinandersetzung mit all diesen normativen Festschreibungen , die sich in ihrer Entwicklung angehäuft haben.


WELT AM SONNTAG NR.29, 17.JULI 2011
Mathias Döpfner
Der schreiende Löwe
Im Gedenken an Leo Kirch ein Nachruf von Mathias Döpfner
KULTUR 46

... Sein Tun war geprägt von einem ausgeprägten Erwerbssinn, genauer vom Eros des Händlers. Sein Lieblingswitz ist bezeichnend:

"Ein Händler kauft einen Container mit Sardinenkonservenbüchsen. Kurze Zeit später erhält er ein Angebot, die Sardinen für 10 Prozent mehr zu verkaufen. Er zögert nicht. Der neue Besitzer hat schon eine Woche später ein weiteres Angebot für 20 Prozent über dem eigenen Kaufpreis- er verkauft sofort. Wieder zwei Wochen später findet sich ein Erwerber, der 30 Prozent mehr bietet. Der Deal wird sofort unterschrieben. Am nächsten Tag kommt der Erwerber zum Verkäufer zurück und sagt: "Ich habe mal eine Konservenbüchse aufgemacht, die Fische sind ja faul und völlig ungenießb." "Du Idiot", sagt der Verkäufer."Du sollst die Sardinen ja auch nicht essen, sondern weiterverkaufen.""


Jean- Christophe Amman
Bei näherer Betrachtung Zeitgenössische Kunst verstehen und deuten
Westend Verlag
2007
ISBN 978-3-938060-21-6

Seite 10

" So wie es ohne Wandel keine Kontinuität gibt, so gibt es auch ohne Kontinuität keinen Wandel. Diese Kontinuität interessiert mich. Denn je mehr sich das Umfeld verändert, Bezigspunkte sich im Dunst verlieren, desto stärker stellen gerade Künstler die Frage nach dem Ursprung.

Es gibt Grundfragen, die darin münden, dass es nichts zu erfinden, aber vieles zu entdecken gibt. Das von den Avantgarden des zwanzigsten Jahrhunderts postulierte Neue ist längst Vergangenheit. Intensität und Authentizität sind existentielle Grundbegriffe. "

" Das Spannende an einem Kunstwerk ist seine Vieldeutigkeit. Es kann aus verschiedenen, von allen unerwarteten Blickpunkten angegangen werden. Je nach Blickpunkt ergeben sich unterschiedliche Assoziationsfelder, die selbst den Künstler überraschen und indirekt in sein Werk zurückfließen können. Klar, man sollte ein Werk nicht als Mittel zum Zweck benutzen, um eigene Ansichten oder Theorien zu illustrieren. Das geschieht immer wieder und ist ärgerlich.

Die Assoziationsfelder, die sich aus den verschiedenen Blickpunkten ergeben, werden vom Motiv , von der Komposition , vom Gegenstand oder schlicht vom Zeitgeist her initiiert, und dies geschieht unabhängig vom Medium. Es ist wie einem Frage- und Antwortspiel. Jede Antwort führt so zu einer neuen Frage. So entstehen Entgrenzungen, die mit der Auflage verbunden sind, das Werk nicht aus den Augen zu verlieren. "

Seite 11

"Jedoch erschließt sich das Kunstwerk nicht über den Geschmack . Das Kunstwerk tut uns nicht den Gefallen, uns zu gefallen- auch wenn zugegebenermaßen die Sinnesfunktionen wie riechen, schmecken, fühlen, hören, sehen über beachtliche Anziehungskraft verfügen.

Das Kunstwerk ist vielmehr ein sinnlich wahrnehmbarer Denkgegenstand. Das heißt, indem ich es wahrnehme, löst es ein Erkennen in mir aus, das über die Wahrnehmiung allein über die Sinnesorgane hinausgeht. Erkennen hat mit Bewusstsein zu tun. Ebenso wir das Kunstwerk einen Bewusstseinsakt darstellt, ist auch das Erkennen ein Bewusstseinsakt. Wer auf der Ebene "gefällt mir- gefällt mir nicht" operiert, wird früher oder später erkennen , das sich der eigene Geschmack verändert und somit das Kunstwerk dem veränderten Anspruch nicht mehr gerecht wird. Umgekehrt wird rt feststellen, dass die Annäherung an das Werk, die wahrnehmungsspezifische Einübung in dessen Besonderheit nicht nur den Geschhmackswandel überdauert, sondern immer mehr auch gesistiger Bestandteil seines Denkens bleiben wird."

Seite 37

"Das , was ich über die Schwierigkeit des Denkens von Gegenwart gesagt habe, kann für die Position des Künstlers und seines Werks auch folgendermaßen festgehalten werden: Zu Beginn ist der Symptomgehalt in etwa gleichermaßen relevant wie der Realitätsgehalt. Unter Symptomgehalt ist das Zeitspezifische eines Werks zu verstehen, unter Realtätsgehalt die qualitative Substanz. Nach fünfzig Jahren kann die Situation wie folgt aussehen: Der Symptomgehalt überragt bei weitem den Realitätsgehalt, was besagt, dass sich das Werk im Zeitspezifischen des Zeitgeistes verfangen hat. Überragt der Realitätsgehalt bei weitem den Symptomgehalt, bedeutet dies, dass sich die qualitative Substanz durchgesetzt hat und das Zeitspezifische jenen Indikator darstellt, der das Werk einzig und allein zeitlich und stilistisch einordnert.

Daraus folgt, dass das Werk im besten Fall "zeitlos"beziehungsweise fortschrittsunabhängig ist. Die besten Werke , aus welcher Epoche auch immer, sind immer gegenwärtig. Die Fortschrittsunabhängigkeit eines Kunstwerkes unterscheidet dies von einem innovativen Produkt, das durch immer neue Innovationen abgelöst wird, auch wenn die jeweils vorausgegangenen nachwirken.

Was wir von Künstlern und ihrem Schaffen lernen können, ist, dass sie eben nicht kreativ , sondern imnnovativ sind. Ein "kreativer Künstler" ist ein Pleonasmus. Entweder ist er Künstler oder kreativ, denn kreativ sind viele Menschen, ohne Künstler sein zu müssen."


Ephraim Kishon
Picassos süße Rache
Langen Müller
1997 (3.Auflage)
ISBN 3-7844-2453-8

Seite 10

"All dies bedeutet aber keineswegs, dass sich die Kunstmadia nicht durchaus schätze. Im Gegenteil, ich hege Achtung für die Sieger. Man muß auch verlieren können. Die Jungs haben schließlich Übung in ihrem Handwerk seit fast 100 Jahren. Es ist ihnen gelungen, im Bewußtsein ihrer Opfer die Lächerlichkeit zum Mythos und den himmelschreienden Unsínn zur letzten Weisheit umzufunktionieren. Darüber hinaus führen sie ihren Kreuzzug mit wirtschaftsorientiertem Know-how. Mit psychologischer Finesse haben sie das Kind aus dem Märchen von Hans Christian Andersen, das seinerzeit leichtsinnig "Der Kaiser ist ja nackt" gerufen hat, dazu gebracht, sich für seine Jugendsünde öffentlich zu entschuldigen. Andersens Kind ist heutzutage hingerissen von Joseph Beuys' legendärem Filzanzug, in den die nackten Kaiser sich hüllen, während sie mit ihren Festreden den Schrottvernissagen berühmter Künstlrt staatlichen Glanz verleihen. "


Kunstkritik kann nach unserer Auffassung auch als Kunst aufgefasst werden- wird sich letztlich demzufolge selbst nicht der Kritik entziehen können. Hier wird ein größerer zeitlicher Abstand ebenfalls einiges klarer beurteilen lassen. Wir wollen uns allerdings hier nicht einer so grundsätzlichen Krtik an den "Kunstrichtern" anschließen , wie sie auf dem beigefügten Bild von G.C. Max ausgedrückt wird:

affen als kunstrichter


Es gibt nicht wenige Beispiele für Kunstkritik, die uns einem zeitlichen Abstand ziemlich merkwürdig und absonderlich vorkommen und von den Nachgeborenen verworfen wurden. Das ist nicht verwunderlich- auch die Kunstkritik ist in der Regel ein Kind ihrer Zeit. Das gibt jedoch nur allzu berechtigten Anlass, die heutigen Aussagen von Kunstkritikern und Kunstexperten ebenfalls mit einer gewissen Skepsis zu betrachten- denken wir nur an die Auswüchse der Kunstszene und deren offensichtliche Hypes. Wir wollen hier als kleine, etwas amüsante Anreicherung dieser Betrachtung das Bild "Türkisches Bad" von Jean Dominique Ingres zeigen und einige stichwortartige Bewertungen dazu zitieren:

Das weibliche Schönheitsideal dieser Zeit hatte sich bereits zum Schlanksein hin verschoben. Auch das "so wenig wie möglich denken" gehörte nicht mehr unbedingt zu den weiblichen Tugenden: »Das türkische Bad« wurde erstmals 1863 in Paris ausgestellt. Einige sahen in ihm »die Neunte Symphonie des ewig Weiblichen«. "Doch keineswegs alle sahen in den Haremsdamen einen Fleisch gewordenen Männertraum: »Hirnloses Vieh«, »Champignon-Kultur«, eine »Dose voller Würmer«, meckerten manche Kritiker". (Die Zitate wurde entnommen dem PM-Magazin, 2012, Warum ist sie so fett?)
Der werte Leser/die werte Leserin möge sich auch hier sein/ihr eigenes Urteil bilden.


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