Kunst als Laboratorium

Lüddemann, Stefan: Kunstkritik als Kommunikation. Vom Richteramt zur Evaluationsagentur. Deutscher Universitäts -Verlag, Wiesbaden 1994, ISBN 3-8244-4565-4

Das vollständige Zitat lautet:

"Ausweis des Kunstwerkes ist die Möglichkeit, an ihm ästhetische Erfahrung zu machen. So bietet sich heute Kunst als ausdifferenziertes System dar, das im gesellschaftlichen Verbund der Systeme die besondere Leistung bereithält, die "Erzeugung unwahrscheinlicher Aufnahmebereitschaften" zu übernehmen. Kunst ist das Medium komplexer Erfahrung wie hoher Reflexionsgeschwindigkeit, Kunst ist das Laboratorium für neue Entwürfe von Weltsichten. Weil die Rücksichten des praktischen Lebens nicht zählen, können in der Kunst ungewöhnliche Wege zur Konstituierung von Wirklichkeit erprobt werden. Kunst bürgt nicht für letzte Sinnerfüllungen oder verbindliche Perspektiven der Utopie. Sie ist auch nicht mehr Unterpfand geschichtspolitischer Wahrheiten. Die falschen, weil totalen, wenn nicht sogar totalitären Ansprüche sind verabschiedet. Übrig bleibt die Kunst als präzise Artikulation, als sinnlich verfasstes, deshalb konkretes Medium der Reflexion. Die so verstandene Kunst ist frei von Möglichkeiten konkreter Intervention, frei aber auch zu jedem die Konvention überschreitenden Experiment."

Im Bereich der Aktionskunst, der Literatur, des Theaters und des Filmes, um nur einige Beispiele zu nennen, ist die vorstehende Aussage unmittelbar einsehbar. Weniger naheliegend ist sie für den Bereich der bildenden Kunst- unsere Werke sind für uns selbst auch ein Versuch, in einem Bereich der bildenden Kunst, der Reliefkunst, einen Schritt in die oben beschriebene Richtung zu gehen.

Ein solches "Laboratorium" für die Entwürfe neuer Weltsichten kann nicht nur die Kunst sein- auch geeignet aufgebaute Spiele können nach unserer Auffassung eine ähnliche Funktion aufweisen- allerdings mit nicht unerheblichen Gefahren hinsichtlich einer Entfremdung zwischen dem sich in einer virtuellen Welt bewegenden Spieler und der von ihm wahrgenommenen "realen" Welt- vom Suchtpotential ganz zu schweigen. Eine mögliche "Enthemmung" bezüglich unmoralischen, gar kriminellen Verhaltens mit Auswirkungen auf das Verhalten in der realen Welt halten wir prinzipiell durchaus für möglich- auch wenn solche Folgen von "Fachleuten" in Abrede gestellt werden. Im konkreten Fall scheint es uns auf die vorliegende Persönlichkeitsstruktur des Spielers nicht unwesentlich anzukommen- einige Spieler mögen ihre "nicht gesellschaftsfähigen Neigungen" in der Virtualität ausleben und dadurch die reale Gesellschaft vor ihren Taten verschonen?! ?????

Wenn virtuelle Aktionen in der "Vorstellung" des Spielers die gleichen Hirnareale wie bei real ausgeführten Taten anregen, was wohl dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnis entspricht, dann ... (Der Leser möge den Satz nach eigener Auffassung vervollständigen).

Auf die Bedeutung von virtuellen Welten für den Menschen gehen wir noch an anderer Stelle dieser Webseite ein- wenn wir die allgemeinen Wirkungen von Kunst betrachten (Hinweis auf den Philosophen Robert Pfaller).

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