Komplementarität

Die Idee der Komplementarität besagt, dass es zu jeder Beschreibung von Wirklichkeit eine zweite (vielleicht auch mehr?) gibt, die der ersten entgegenläuft.

Wir verfügen stets über beide (mehrere ?) Deutungsmöglichkeiten und können Wirklichkeit nur umfassend als Summe von komplementären Betrachtungsweisen und Beschreibungen verstehen.

Dieser Gedanke lässt sich aus dem Bereich des Erkennens (z.B. in der Physik) herausholen und auf die Lebensgestaltung übertragen, bei der wir stets zwischen rationalen Erwägungen und irrationalen (emotionalen) Neigungen abzuwägen haben. Der Gedanke der Komplementarität legt den Vorschlag nahe, die Balance zwischen den beiden Polen zu halten, um nicht zu einer Seite abzustürzen (was leider auch zur Rationalität hin passieren kann, ...) .

"Wie eng und fest das kulturelle Paar Kunst und Wissenschaft zusammenhängt, hat der amerikanische Schriftsteller Raymond Chandler ausgedrückt: " Es gibt zwei Arten von Wahrheit: Die Wahrheit, die den Weg weist, und die Wahrheit, die das Herz wärmt. Die erste Wahrheit ist die Wissenschaft und die zweite ist die Kunst. Keine ist unabhängig von der anderen oder wichtiger als die andere. Ohne Kunst wäre die Wissenschaft so nutzlos wie eine feine Pinzette in der Hand eines Klempners. Ohne Wissenschaft wäre die Kunst ein wüstes Durcheinander aus Folklore und emotionaler Scharlatanerie. (emotional quackery). Die Wahrheit der Kunst verhindert, dass die Wissenschaft unmenschlich wird, und die Wahrheit der Wissenschaft verhindert, dass die Kunst sich lächerlich macht."
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(Und) er will uns weiter zu verstehen geben, dass wir der Kunst näherkommen können, wenn wir etwas von den rational zugänglichen und nachvollziehbaren Gedanken erfahren, die Komponisten, Schriftsteller, Maler oder Bildhauer an- und umtreiben müssen, bevor sie ihr schöpferisches Tun beginnen oder während sie an ihren Werken mit allen notwendigen Details arbeiten.

Mit anderen Worten: Wer nur die Kunst versteht, versteht auch die nicht. Wer nur Wissenschaft versteht, versteht auch die nicht. ... Auf das Ganze der Kultur kommt es an. Das komplementäre Gegenstück wirkt auch, wenn man nicht an seine Bedeutung glaubt."

Ernst Peter Fischer: Schrödingers Katze auf dem Mandelbrotbaum, Goldmann, 2008, Seite 63, ISBN 978-3-442-15510-1