Ausrichtung des Werkes und Skepsis gegenüber dem "Zeitgeist"

 

Wir freuen uns sehr darüber, dass die Themen "Glück, Sinn, Lebenskunst" in den letzten Jahren endlich (ungefähr seit dem Jahr 1990) die Aufmerksamkeit erfahren haben, die sie nach unserer Auffassung "verdienen". Diese Themen waren zwar schon im Altertum , in der Antike, ein bedeutsamer Gegenstand der Philosopie, wurden dann allerdings in der Folge recht stiefmütterlich behandelt. Man kann die gewachsene Beliebtheit dieser Themen in der jüngeren Vergangenheit vielleicht auf eine zunehmende Orientierungslosigkeit der Menschen zurückführen- der "Glaube" ist schließlich auch nicht mehr das, was er früher war; einige "sinnstiftende" Weltanschauungen sind ziemlich jämmerlich gescheitert, wobei sie sehr viel Unheil angerichtet haben- und auch die Wissenschaft und der Fortschritt haben wohl bei weitem nicht die Hoffnung auf ein sinnerfülltes Leben erfüllt, die sich nicht wenige gemacht haben. Wir wollen jedoch die Rolle des Fortschritts nicht untertreiben, erlaubt er uns doch- sofern wir das wollen- relativ leicht 1000 oder mehr Freunde in sozialen Netzwerken zu haben: Freundschaft ist immerhin auch eine "sinnstiftende" Größe :-).

Leider sind die Themenschwerpunkte "Glück, Sinn, Lebenskunst, Lebenslaufforschung" in der Literatur des letzten Jahrhunderts reichlich spät in den Vordergrund gerückt. Kurz vor unserem Abitur (1964) befanden wir uns in einer ersten Phase der Orientierungslosigkeit. Welchen Weg nach dem Abitur gehen? Welcher Beruf könnte so interessant sein, um sich ihm in den nächsten 40 Jahre mit Befriedigung, innerer Anteilnahme und Engagement zu widmen? Wie wichtig sind Freiheit und Geld für uns bei der Berufswahl? Eine Teilnahme an einer Arbeitsgemeinschaft "Philosophie" im letzten Schuljahr, von der wir Ratschläge dazu und zur Lebensgestaltung allgemein erhofften, war nur sehr eingeschränkt für uns hilfreich. Die Philosphie kam uns wie ein Gemischtwarenladen damals vor, mit relativ beschränkter Auswahl des Angebots, was die praktische Anwendbarkeit betrifft, in dem man sich nach persönlicher Vorliebe bedienen kann. Allerdings haben wir die Überlegungen von Epikur und Schopenhauer dort kennengelernt, die durchaus für uns von praktischen Interesse waren.

Kurz vor dem Ende eines "technischen Studiums"- ein Studium der Psychologie erschien uns auf zu schwankendem Boden gegründet- gelangten wir in eine zweite Phase der Orientierungslosigkeit. Da traf es sich gut, dass zu dieser Zeit in der RIAS- Funkuniversität (West-Berlin) eine Sendereihe mit dem Titel "Anatomie des Glücks" (später im Kiepenheuer&Witsch Verlag erschienen) lief, die uns Anregungen gab, sich weiter mit den Themen "Glück und Lebensgestaltung" wieder näher zu beschäftigen. Ein Lebensgefühl herrschte bei uns damals vor- die Auswahl einer einzigen konkreten Möglichkeit verbaut gleichzeitig eine Vielzahl anderer Möglichkeiten. Einerseits ein wunderbares Gefühl der Freiheit- andererseits das Gefühl der Bedrohung durch eine möglicherweise im nachhinein in ihren Konsequenzen fatale Wahl.

Einige Jahre später- nach einer beruflichen Entscheidung gegen Geld und für mehr Freiheit im beruflichen und privaten Bereich, kam eine neue Phase der Orientierungslosigkeit auf uns zu- wie diese zusätzlichen Freiheiten verantwortungsvoll und insgesamt für unsere Lebensgestaltung sinnvoll nutzen? Eine Anregung, sich wieder mit dem Thema näher zu beschäftigen, war das Büchlein von G.Hentrich: Ermutigung zum Glück, Herder-Verlag. In der Folge hatten wir etwas mehr Muße, uns mit dem Thema "sinnvolle Lebensgestaltung" zu widmen- mehr Muße auf jeden Fall, als zur Zeit unserer vorangegangenen Industrietätigkeit.

Eine ausgeprägte Midlfe-Crisis mussten wir zwar- Gott sei Dank- nicht durchleben, mit dem Überschreiten der "50" hat das Thema "Lebenskunst" für uns weiter an Bedeutung gewonnen- wozu auch die Entwicklung in der einschlägigen Literatur zusätzlich beigetragen hat.

Das Thema "sinnvolle Gestaltung des Lebens" wird in unserem Werk also nicht aus einer momentanen Laune oder aus modischen Gründen behandelt, sondern es begleitet uns bereits seit langer Zeit. Eine kleine Anekdote erlauben wir uns noch: Der tiefere Grund für unser besonderes Interesse an der Lebenskunst liegt wohl in einer grundlegenden "Lebensverunsicherung", die wir als Patient (ungefähr mit sieben Jahren) in einem Krankenhaus bei einem Ausflug einer "Patientengruppe" zur Novemberzeit auf einen Friedhof erfahren haben. Die vielen kleinen Lämpchen auf den Gräbern, zusammen mit der Bemerkung einer wohl gutmeinenden Krankenschwester aus den kirchlichen Umfeld: Hier liegt der kleine ....., vor 6 Wochen war er noch unter uns- haben wohl etwas wesensverändernd gewirkt. Auch der Hinweis, dass jetzt der kleine ... beim Lieben Gott wäre und es jetzt gut hätte, konnte uns nicht wirklich beruhigen. Eher drängte sich der Gedanke auf: Wieso liegt der da unten ? und etwas spezieller: Hoffentlich habe ich nicht "das Gleiche", wie es der da unten gehabt hat. Im Nachhinein beurteilen wir jedoch diese "erste allgemeine Verunsicherung" insgesamt durchaus nicht als negativ, ganz im Gegenteil. Allerdings zog sich das Empfinden einer gewissen Verunsicherung wie ein roter Faden durch unser Leben, wie es auch aus einigen, von uns heute selbst belächelten, tastenden Versuchen mit der Malerei vor längerer Zeit (ca. 1977) ersichtlich ist.

Die hier angeführte, recht individuelle "Friedhofsgeschichte", die dem Leser sicherlich ziemlich kurios vorkommen mag, lässt sich in einen allgemeineren Zusammenhang einbetten, der wiederum für den Leser nicht ganz ohne Interesse sein könnte: In einem Buch von Rolf Dobelli, das wir für äußerst lesenswert halten, mit dem Titel " Die Kunst des klaren Denkens" hat gleich das erste Kapitel die Überschrift "THE SURVIVORSHIP BIAS - Warum Sie Friedhöfe besuchen sollten". Das Buch handelt von weit verbreiteten Denkfehlern- der Rest des Buches ist also keineswegs der Sepulkralkultur gewidmet- ganz im Gegenteil. Der Besuch von Friedhöfen scheint also- abgesehen vom ästhetischen Erleben, durchaus auch praktischen Nutzen anzubieten. "Survivorship Bias (deutsch etwa Überlebensirrtum) bedeutet: Weil Erfolge größere Sichtbarkeit im Alltag erzeugen als Misserfolge, überschätzen Sie systematisch die Aussicht auf Erfolg" [1]. Darüber hinaus erhält man noch auf einem Friedhof eine unmittelbare Anschauung von der Gebrechlichkeit und Vergänglichkeit allen Lebens, was zu einer Formung, Justierung von Werten und Lebenszielen führen kann- abgesehen von einer bei einigen Friedhöfen durchaus möglichen bemerkenswerten ästhetischen Erfahrung. Womit wir wieder insgesamt beim Thema "Sinn" angelangt sind.

Unsere Skepsis- gegenüber einer unkritschen Anpassung an den Zeitgeist und an Moden im allgemeinen Sinn- folgt auch im Wesentlichen aus persönlichen Erfahrungen. Hierzu wollen wir nur ein Beispiel bringen. Wir haben unseren Kunstunterricht im amerikanischen Sektor Westberlins am Anfang der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts genossen. Zu dieser Zeit stand die Abstrakte Kunst ganz in der Mitte der Wertschätzung- was wir, kurz vor dem Abitur stehend- in dieser Einseitigkeit nicht verstehen und nachvollziehen konnten. Zeitgenössische figurative Kunst war recht verpönt und geradezu suspekt, gerade in West-Berlin, - sie wurde fast immer in die Nähe der Nazi- Kunst oder des Sozialistischen Realismus gerückt. Über die politischen Hintergründe- die Abstrakte Kunst vehement in der damaligen Kunstszene durchzusetzen- kann man sich ausführlich in der Literatur informieren. Über den Schwachsinn, der teilweise im Zeitgeist von politischen Entscheidungen und von gesellschaftlichen Erscheinungen zu entdecken ist- und das durchaus nicht nur in der ferneren Vergangenheit- wollen wir uns hier nicht näher auslassen. Zur Anpassung an den Zeitgeist zählen wir übrigens auch einige Abartigkeiten der Politischen Korrektheit.

Wir haben diese recht ausführliche Erklärung abgegeben, um im Leser nicht falschen Eindruck zu erwecken, unser Werk sei innerlich inkonsistent. Solche Inkonsistenzen sind uns selbst ein arger Graus. Unsere Abneignung, dem Zeitgeist bedingungslos und unkritisch zu folgen und andererseits gerade aus dem "momentan aktuellen" Bereich der Lebenskunst die Themen unserer Werke gewählt zu haben, das muss also kein Widerspruch sein. Unsere persönliche Verunsicherung in bestimmten Lebensabschnitten fand bloß zeitlich etwas vor der allgemeinen- in den letzten Jahren stark zugenommenen- allgemeinen gesellschaftlichen Verunsicherung statt.

LITERATUR:
[1] Rolf Dobelli: Die Kunst des klaren Denkens- 52 Denkfehler, die Sie besser anderen überlassen, Hanser, 2011, ISBN 978-3-446-42682-5

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