Abstrakte und figurative Kunst

Nur um Missverständnisse zu vermeiden:

Wir sprechen uns hier nicht prinzipiell gegen abstrakte Kunst oder Formen aus- abstrakt oder figurativ sind sicherlich "gleichberechtigte" Gestaltungsprinzipien. Der Gestalter abstrakter Kunst kann in der abstrakten Kunst völlig neue Formen "erfinden", sich fast wie ein "kleiner Schöpfer oder Herrgott" mit seinem neu geschaffenen, autarken Formenreichtum fühlen.

Hier möchten hier jedoch begründen, wieso wir- ganz persönlich- für unsere Kleinreliefs eine abstrakte Gestaltung nicht für besonders sinnvoll und angemessen halten; das gilt insbesondere für den von uns gewählten Themenschwerpunkt "individuelle Lebensgestaltung" mit dem Angebot an den Betrachter, zwischen sich selbst- seinem eigenen Leben- und der Darstellung auf dem Relief durch Interpretation einen Zusammenhang herzustellen.

Zu abstrakten Formen können natürlich auch Beziehungen aufgebaut werden- diese sind allerdings eher gefühlsmäßiger Natur. Dies wird insbesondere durch einen großen Farbenreichtum oder eine angemessene Farbauswahl zur Einstimmung einer bestimmten Gefühlslage erleichtert werden. Die abstrakten Formen selbst werden aufgrund ihrer Unverbindlichkeit, Unspezifischkeit und ihres mangelnden Bezuges zur Wirklichkeit kaum Anregungen der Phantasie des Betrachters auf einem bestimmten Gebiet hervorrufen können. Unsere Skepsis wird durch empirische Erkenntnisse aus der Psychologie (Kreativitätsforschung) und der Kunstpsychologie unterstützt.

Eine Verbindung von Gefühl und Verstand wird sich bei abstrakten Werken nur relativ schwer einstellen- eine solche Verbindung ist aber eine Grundlage unserer Werke. Sofern man Assoziationen als Grundlage für Interpretationen aus den abstrakten Werken ableiten kann, werden dies ganz unverbindliche, von Betrachter zu Betrachter ganz unterschiedliche Anregungen sein.

In der abstrakten Kunst wird teilweise dem Zufall sehr großer Raum gegeben, damit kann der Künstler, zum Teil auch ganz bewusst, einen mannigfaltigeren Formen- und Farbenreichtum erzeugen als es ihm sonst möglich wäre (wie beim Schießen von mit unterschiedlicher Farbe gefüllten Paintballs auf eine Leinwand).

Sofern dem Zufall allerdings zu großer Raum gegeben wird- sehen wir prinzipiell die Gefahr einer völligen Belanglosigkeit, der Beliebigkeit, der Unverbindlichkeit in dieser Kunstrichtung. Etwas spöttisch ausdrückt: Es gibt eine Menge von abstrakten, bizarren und "interessanten" Formen, teils mit sehr beeindruckenden Farben auch am Austritt eines Müll-Schredders (Plastikspielzeug liefert besonders nachhaltige Eindrücke) oder einer Schrottpresse. Man könnte auch- natürlich nach Geschäftsschluss- mit einem Lastwagen in einen Supermarkt mit hoher Geschwindigkeit "reinbrettern": Welch' Formen- und welch' Farben-Pracht nach dem crash! Je höher die Geschwindigkeit, desto größer der Formenreichtum. Der Fahrer sollte sich aber natürlich gut gegen Verletzungen schützen! Falls der Leser meint, dies sei nun wirklich übertrieben- dann geben wir hier eine nur leichte Übertreibung durchaus zu. Wer einigermaßen weiß, was in der Vergangenheit schon in der Hinsicht- eine Aktion des Künstlers kombiniert mit viel Zufall- als "Kunst" deklariert worden ist, wird konsequenter Weise auch hier überzeugt sein, dass der Supermarkt nach Abschluss der Aktion selbstverständlich ein Kunstwerk ist- vom gekonnten Hineinsteuern des Lastwagens als Aktionskunstwerk mal abgesehen.

Im Bereich der Abstrakten Kunst gibt es übrigens sehr beeindruckende Bildschirmschoner, die einen schier überwältigenden Reichtum an Formen und Farben kreieren- mit denen wir allerdings nicht konkurrieren wollen.

Das "Erfinden" von neuen Formen und Gestaltungsmöglichkeiten, Farbnuancen und Oberflächentexturen- allein auf sich selbst gegründet und exzessiv ausgeübt- assoziieren wir mit dem Erfinden von neuen Lauten- als Lautmalerei also, das hatten wir alles schon- und neuen Sprachen um ihrer selbst willen, nur bleibt uns da persönlich die bange Frage, was das eigentlich soll, wenn nichts mitgeteilt wird- abgesehen von einem möglicherweise faszinierenden ästhetischem Erleben (Wie lange mag das wohl andauern?) oder von dem aufregenden Innenleben einer sensiblen Künstlerseele. Vielleicht ist aber gerade das die Mitteilung- dass es nichts mitzuteilen gibt. Da das "Werk" auch Rückschlüsse auf seinen "Schöpfer" und auf den Zustand der Gesellschaft erlaubt, gibt es natürlich schon eine indirekte, dahinterliegende Botschaft! Was für Wirkungen solche Werke auf den Betrachter haben- außer Abwechslung, überraschender Gag, das Anregen einer bestimmten Gefühlslage, das Gefühl "modern", gar revolutionär zu sein, ..., bleibt uns leider verborgen. Fragen, die wohl durchaus nicht unbegründet sind- die aber jeder Betrachter für sich selbst beantworten kann.

Die Natur arbeitet ebenfalls mit dem Zufall- allerdings eingebettet in die Evolution, die eine gewisse Weiterentwicklung, aber auch das Enden in einer Sackgasse bewirken kann. Wenn wir den Formenreichtum der Natur betrachten- in seiner abstrakten Form unter dem Mikroskop- wird man recht bescheiden, was die Entwicklung des abstrakten Formenreichtums durch den Menschen anbelangt. Die Übermittlung von reinen Gefühlszuständen und subjektiven Befindlichkeiten des Künstlers andererseits- auch unter Einsatz von "viel" Farbe- ist natürlich legitim- kann aber nach meiner persönlichen Erfahrung sehr schnell langweilig werden. Der Betrachter solcher Werke und der Leser mag das natürlich ganz anders beurteilen. Bei nicht wenigen "Abstrakten" ist eine Individualität des Künstlers für uns allerdings nur schwer oder gar nicht mehr erkennbar- die Werke unterschiedlicher Künstler unterscheiden sich dann nur noch kaum voneinander....


Wenn abstrakte Formen in der "Kunst", zwei oder dreidimensional, den Charakter von "Klecksogrammen", von Rorschachtests also haben, dann sind wir persönlich nicht begeistert, es sei denn, diese Formen sind von ästhetischem Interesse- also nicht nur sinnlos hingekrickelt oder "hingerotzt".

Wir wollen bei unseren Werken ganz gezielt den dargebotenen Interpretationsbereich nicht beliebig halten, weil eine Beliebigkeit der von uns gewünschten Anregung der Phantasie des Betrachters in Bezug auf ein bestimmtes Thema nicht förderlich wäre. Es sei denn, es wäre das Ansprechen einer bestimmten Gefühlslage des Betrachters- besonders mit Hilfe von entsprechenden Farben- ein gewünschtes Ziel des Werkgestaltenden. In diesem Fall sind wir allerdings der Auffassung, dass ein größeres Format, als es eine Medaille oder ein Kleinrelief aufweist, geeigneter ist.
Aber a
uch in diesem Fall gibt es offenbar ganz unterschiedliche Auffassungen zum Thema- der Leser möge sich hierzu sein eigenes Urteil bilden, schließlich: "Erlaubt ist, was gefällt."


Die Interpretation von figurativen Werken betreffend, gibt es in der bildenden Kunst zwei Extreme: Einerseits gibt es Werke, die bedürfen keiner Interpretation (sie haben zum Beispiel lediglich einen dekorativen Charakter); sie sind auch nicht daraufhin angelegt worden, weil sie etwas ganz Konkretes realistisch darstellen oder sie sind nur in einem ganz engen Sinne interpretierbar, wie ein bestimmter Gesichtsausdruck eines Portraits, ein historisches, religiöses oder anderes Ereignis oder - und es gibt andererseits Werke, die beliebig oder fast beliebig interpretierbar sind, weil sie zwar Gegenständliches darstellen, dies allerdings völlig verrätselt- wobei unterschiedliche Betrachter zu völlig verschiedenen, nicht vergleichbaren Ansichten gelangen.

Bei unseren eigenen Werken nehmen wir fast immer eine "mittlere" Position hinsichtlich ihrer "Interpretationsoffenheit" zwischen diesen beiden Extrema an. Wir orientieren unsere Werke also an dem "Prinzip der Mitte". Eine solche ausgewogene, dem Anlass und dem Thema angemessene Mitte bei der Gestaltung eines Werkes ist nicht leicht zu finden und wird auch jeweils der konkreten Realisierung des behandelten Themas entsprechend zu beurteilen sein. Ein solches Vorgehen bietet allerdings eine größere Gestaltungsfreiheit nach beiden Seiten in Richtung auf die angeführten Extrema. Unser zentrales Anliegen ist es, Verstand und Gefühl gleichermaßen anzusprechen- ebenfalls dem Prinzip der Mitte entsprechend. Wir halten deshalb die Eigenschaft "interpretationsoffen" für sehr bedeutsam, weil damit dem Betrachter und uns bei der Gestaltung des Werkes die Gelegenheit geboten wird, eine direkte, besonders enge Beziehung zum Werk herzustellen. Ob er dazu bereit ist und ob ihm das gelingt, ist natürlich auch von den Eigenschaften des Betrachters selbst abhängig.

Wir haben selbst eine wenige Male mit abstrakten Darstellungen experimentiert, wobei versucht haben, teilweise auch durch Verwendung von abstrakt-figurativen Mischformen, die Anregungen für die Interpretation durch den Betrachter nicht völlig unverbindlich, beliebig und nichtssagend zu gestalten.

Als ein Beispiel dafür, wie auch kleinere Formate einer nichttrivialen, phantasievollen Interpretation in einem nicht beliebigem Gebiet zugänglich sind, möge die Plakette "Moderne Bürokratie" gelten. Dabei ist eine Grafikplatine aus einem PC, die aus einfachen geometrischen Grundformen zusammengesetzt ist, an einzelnen Stellen gezielt (also nicht nach dem Zufallsprinzip) verändert worden. Die einzelnen Elemente stehen zunächst für den (nicht speziell kundigen) Beobachter in einer völlig undurchschaubaren, bedeutungslosen, "sinnlosen" Anordnung zueinander. Durch die vorgenommenen Veränderungen weist die Plakette jedoch enge Bezüge und Analogien zum realen Gesamtsystem "Moderne Bürokratie" auf: Komplexität und Undurchschaubarkeit, Digitale Informationsverarbeitung, Vernetzung von unterschiedlichen Hierarchien, ..., auch Beschäftigung des Systems mit sich selbst (Rückkopplung), ... . In die Platine als offenes System strömen (elektrische) Energie und Informationen hinein und hinaus, wobei Energie (Exergie) verloren geht- in der Bürokratie entspricht der elektrischen Energie, die zum Betrieb erforderlich ist, der Geldfluss (auch verlustbehaftet). Es lassen sich durchaus auf der modifizierten Platine auch Bezüge zur deutschen Geschichte entdecken ...und einiges mehr. Falls der Betrachter meint, auch ironische, gar sarkastische "Elemente" entdeckt zu haben: Meinen Glückwunsch!

Der "Sinn" des Werkes- abgesehen von einer interessanten Form?- obgleich das schon ein hinreichender Grund für seine Gestaltung gewesen wäre: Der Betrachter kann phantasievoll seinen Blick und sein Gespür für Analogien schärfen und Zusammenhänge zwischen zunächst auf den ersten Blick zwei völlig unterschiedlichen Systemen knüpfen - aus Analogien lassen sich nicht selten zusätzliche Informationen durch Übertragung von Erkenntnissen gewinnen.


Ob und wie weit ein Gefühl des Ausgeliefertseins, der Beklemmung oder andere Gefühle im Betrachter durch die Darstellung erweckt werden, ist sicherlich vom Betrachter selbst ganz wesentlich abhängig. Vielleicht entschließt er sich sogar, spontan in den Öffentlichen Dienst einzutreten (möglichst dort, wo es ganz feste Regeln gibt?) oder eine Laufbahn in der Verwaltung (Brüssel?- mit ganz viel Energieinput) anzustreben. Viel Erfolg!

Ein allzu simpler Aufbau von abstrakten Relief-Werken, die zudem noch kleinformatig sind, ist uns- soweit wie das durch unsere konkreten Beobachtungen beurteilen können- zu beliebig bezüglich der von ihnen angeregten Assoziationen und Gefühle. Letztlich wirken solche Werke nicht selten- pardon- einfach nur langweilig, gar banal, teilweise wie eine im Kunstunterricht einer Schule während weniger Minuten angefertigte Bastelarbeit. Insbesondere dann stellt sich dieser Eindruck natürlich ein, wenn die Werke auch noch monochrom sind. Ob das haptische Erleben den Gesamteindruck noch herausreißen kann, sei hier offen gelassen. Eine Beziehung zu ihnen herzustellen, außer dem nur kurzandauernden Gefühl der Verwunderung ... , ist uns leider bei diesen Werken nicht möglich. Vielleicht belehrt uns die Zukunft aber noch eines Besseren, was unsere subjektive Bewertung solcher Werke im Einzelfall betrifft- wir sind da noch ganz offen und durchaus noch neugierig auf eine solche Erfahrung.


Wir schließen mit zwei Zitaten, mit deren Inhalt völlig übereinstimmen :

Hanno Rauterberg: Und das ist Kunst? Eine Qualitätsprüfung, S.Fischer Verlag, 2007, ISBN 978.3-10-062810-7

Seite 197

"Die Kunst ist frei, und der Betrachter ist es ebenso. Er darf Ich sagen und dieses Ich gegen alle Künstler, Händler, Kritiker behaupten. Er muss sich nicht von anderen erzählen lassen, was er sehen soll. "


Wilhelm Schmidt: Mit sich selbst befreundet sein, Suhrkamp Taschenbuch, 2007, ISBN 978-3-518-45882-2

Seite 57

"Ein Bild, eine Installation, ein Text lassen sich deuten und interpretieren; was dabei aber in Wahrheit gedeutet und interpretiert wird, ist immer auch das Selbst und das eigene Leben."



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