Gefühl und Verstand

Eine besondere Schwierigkeit im Leben des Menschen wohl besteht darin, Gefühl und Verstand in sinnvoller Weise so miteinander zu verknüpfen, dass wir unsere Beurteilungen und Handlungen nicht schon nach relativ kurzer Zeit bereuen, obwohl sich an den äußeren Randbedingungen für uns nichts geändert hat.

Die Manipulation von Menschen nutzt diesen Sachverhalt hemmungslos zu ihren Gunsten aus.

Diese Abstimmung von Gefühl und Verstand ist jedoch häufig alles andere als einfach. Getrennt vorgenommene Wertungen von Einzelheiten können widersprüchlich zu den Wertungen anderer Details sein, machen die Situation für uns unübersichtlich und kompliziert. Mit dem rein rationalen Nachdenken allein wird im allgemeinen keine insgesamt tragfähige Lösung erhalten. Und wie weit kann man den eigenen Gefühlen trauen? Wie sind die Fakten im Zusammenhang zu interpretieren, die unseren Beurteilungen und dann auch Entscheidungen schließlich zugrunde liegen?

Da wir uns entschieden haben, unsere Werke inhaltlich mit dem Wichtigsten zu verbinden, was wir haben -unser Leben (wobei wir als Grundlage davon ausgehen, dass es lebenswert ist), erscheint es uns sinnvoll, auch in unseren Werken- genau wie im Leben, dem Betrachter eine Abstimmung von Gefühl und Verstand anzubieten. Dies aber bringt unmittelbar die den vorliegenden Tatsachen angemessene Interpretation ins Spiel.

Vielleicht hat der Leser beim letzten Absatz ein etwas merkwürdiges Gefühl gehabt- was durchaus von uns beabsichtigt war: Ist das Wichtigste, was wir haben, wirklich in jedem Fall das Leben? Gibt es nicht "höhere Werte, höhere Ziele" im Einzelfall, für die es sich subjektiv lohnt, das Leben zu opfern? Etwa Freiheit, Ehre, Einsatz zum Wohle und zur Gefahrenabwehr für Andere, ...? Auch hier wird die Entscheidung des Einzelnen von Gefühl und Verstand, von seinen Werten und seiner Interpretation der Gesamtsituation abhängig sein. Auch hier liegt also eine relativ komplizierte Situation mit teilweiser Widersprüchlichkeit in der Bewertung der Einzelkomponenten vor.

Gerade solche uneindeutigen, mehrschichtigen Darstellungen- die der Betrachter ganz individuell bewerten, interpretieren und auf seine eigene Lebenssituation beziehen kann, machen interpretationsoffene Werke für uns besonders interessant. Wir legen deshalb in vielen unserer Werke einen Schwerpunkt auf diese Eigenschaft.

Zusätzliche Hinweise: Die Psychologie bietet wertvolle Hinweise zur Abstimmung von Gefühl und Verstand bei Entscheidungen. Sie betrachtet "die Qual der Wahl" und sucht Antworten auf die Fragen "Wie trifft man Entscheidungen? Wie "soll" ich mich entscheiden? Auf den Bauch hören oder auf den Verstand? Gibt es "Stoppregeln" bei der Entscheidungsfindung? Was ist der Zusammenhang zwischen "Kopf", "Bauch" und Willensstärke?

Aus der Psychologie ist bekannt, dass aus einer mangelnden Abstimmung von Gefühl und Verstand die äußerst problematische Verhaltensweise resultieren kann: "Allzu oft treffen wir Entscheidungen, weil wir kurzfristig Schmerz oder Ärger vermeiden wollen- und handeln uns damit langfristig Probleme ein".
(Ursula Nuber: Wie soll ich mich entscheiden? in PSYCHOLOGIE HEUTE compact- Die Qual der Wahl, Seite 9, Beltz-Verlag, 2011, Heft 28)

Die Aussage betrifft allerdings nicht nur die kurzfristige Vermeidung von Schmerz oder Ärger, sondern auch den kurzfristigen "Lustgewinn", wobei "Lust" recht allgemein aufzufassen ist.

Auch die Neuropsychologie liefert vertiefte Erkenntnisse über die besondere Bedeutung einer Abstimmung zwischen Gefühl und Verstand.
Zitate aus:
David Servan-Schreiber- Die Neue Medizin der Emotionen, Goldmann-Verlag, 19.Auflage, ISBN 978-3-442-15353-4:

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Seite 19:
" Im Inneren des Gehirns befindet sich ein emotionales Gehirn, wahrhaft ein "Gehirn im Gehirn". Es verfügt über eine andere Struktur, eine andere Zellenanordnung, und selbst seine biochemischen Eigenschaften unterscheiden sich von denen des übrigen "Neokortex"- das heißt des am höchsten "entwickelten" Bereich des Gehirns, der Großhirnrinde, in der die Sprache und das Denken ansiedelt sind. In der Tat funktioniert das emotionale Gehirn oft unabhängig vom Neokortex. Sprache sowie Wahrnehmung und Erkennung haben nur einen begrenzten Einfluss darauf: Man kann einem Gefühl nicht befehlen, stärker zu werden oder zu verschwinden, so wie man seinem Verstand befehlen kann, zu sprechen oder still zu sein.

* Das emotionale Gehirn kontrolliert seinerseits alles, was das psychische Wohlbefinden regelt ...
* Probleme, die das Gefühlsleben betreffen, sind die Folge von Funktionsstörungen des emotionalen Gehirns, von denen viele ihren Ursprung in schmerzlichen Erlebnissen der Vergangenheit haben. Sie beziehen sich in keiner Weise auf die Gegenwart, haben sich jedoch dem emotionalen Gehirn unauslöschlich eingeprägt. Eben diese Erlebnisse kontrollieren oft weiterhin unser Empfinden und Verhalten, gelegentlich noch Jahrzehnte später. ... ".

Seite 39:
"Die beiden Gehirne, das emotionale und das kognitive, nehmen die von der Außenwelt kommende Information nahezu gleichzeitig auf. Danach können sie entweder gut zusammenarbeiten zusammenarbeiten oder aber einander die Kontrolle über Denken, Gefühle und Verhalten streig machen. Das Resultat dieser Interaktion- Kooperation oder Konkurrenz- bedingt, was wir fühlen, und bestimmt unser Verhältnis zur Welt und zu anderen Menschen. Die verschiedenen Formen von Rivalität zwischen den beiden Gehirnen machen uns unglücklich. Ergänzen sich hingegen emotionales und kognitives Gehirn und gibt das eine die Richtug vor, wie wir unser Leben gestalten wollen (das emotionale), während das andere uns dazu bringt, so klug wie möglich in eben dieser Richtung vorwärts zu gehen (das kognitive), verspüren wir wir eine innere Harmonie- "Ich bin genau da, wo ich in meinem Leben sein"-, die jeglichem dauerhaften Wohlbefinden zu Grunde liegt."

Seite 25:
"Seinen Gefühlen uneingeschränkt freien Lauf zu lassen garantiert jedoch auch kein traumhaftes Leben. Sie müssen- und dafür sind die Denkfunktionen zuständig- unbedingt mittels rationalere Analyse den jeweiligen Umständen angepasst werden, denn jede unbedachte Entscheidung kann das komplizierte Gleichgewicht unserer Beziehungen zu anderen in Gefahr beingen. Ohne Konzentration, Überlegung und Planung werden wir nach dem Zufallsprinzip zwischen Vergnügen und Frustration hin und her gerissen. Wenn wir nicht mehr in der Lage, unser Leben im Griff zu behalten, verliert es sehr schnell seinen Sinn."

Wir wollen die Thematik "Gefühl und Verstand" hier jedoch nicht weiter ausbreiten- wir haben sie aber hier eingeführt, um unser besonderes Interesse an der Interpretionsoffenheit unserer Werke aus anderem Blickwinkel zu begründen. Unsere Werke sind- nicht zuletzt für uns selbst- ein Versuch, die beiden Bereiche "Gefühl" und "Verstand" aufeinander abzustimmen- und dabei dem Betrachter die gleiche Möglichkeit zu beben- falls dieser überhaupt daran interessiert ist.

 

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