Da das Adjektiv "sinnvoll" durchaus selbst interpretationsoffen ist,
halten wir es für "sinnvoll", den Begriff "Sinn"- so wie wir ihn verwenden-
etwas näher zu betrachten.
Dazu führen wir zunächst ein etwas ausführlicheres Zitat an, auf das wir weiter unten näher eingehen.

 

 

Wilhelm Schmid
Schönes Leben
Einführung in die Lebenskunst
Suhrkamp- Verlag
2005
ISBN 3-516-06827-X

Seite 183

"... was ist eigentlich gemeint mit "Sinn"? Sinn, das ist Zusammenhang. Die Arbeit des Deutens und Interpretierens knüpft Zusammenhänge, mögen sie von selbst schon bestehen oder nicht. Die Hermeneutik der Lebenskunst besteht darin, mithilfe von Interpretationen denjenigen Zusammenhang herzustellen, der in der Lage ist, dem Leben Sinn zu geben- einen Sinn, der der Gesamtheit oder dem Einzelereignis des Lebens nicht etwa nur abzulesen ist, sondern hineingelegt werden muss, um herausgelesen werden zu können. Die Interpretation , dieses "Dazwischentreten" , knüpft Beziehungen zwischen den unzusammenhängenden, auseinander strebenden Bestandteilen und Erfahrungen des Lebens, zeigt Zusammenhänge auf und erzeugt auf diese Weise "Sinn". Das ist ein Vorgang, für den man sich eines Hilfsmittels bedienen kann.; indem man nämlich einen Text zur Hand nimmt, ein Buch, einen Aufsatz, den man zu lesen und zu interpretieren sucht. Während man den Text interpretiert, interpretiert man in Wahrheit sich selbst und das eigene Leben; die subjektive Fragestellung spiegelt sich im objektiven Material: Das macht die Unverzichtbarkeit des Umgangs mit Texten für die Lebensführung aus.

Mithilfe von Interpretationen werden Zusammenhänge geklärt und Sinngefüge von Selbst und Welt hergestellt; "im Leben Sinn zu finden", meint nichts anderes als dies: Zusammenhänge ausfindig zu machen und sich in sie einzufügen; "dem Leben Sinn zu geben" aber heißt: diese Zusammenhänge selbst zu gestalten."

....

Seite 184

"Sinn erscheint dabei in einem doppelten Sinne: Die Zusammenhänge können unmittelbar sinnlich vor Augen stehen und geradezu mit Händen zu greifen sein; sie können jedoch auch abstrakt sein und sind dann nur mit einer theoretischen Anstrengung zu erschließen und zu knüpfen. Der Reichtum an Möglichkeiten aber, Zusammenhänge zu erezeugen, sorgt für die Fülle des Sinns, sinnlos bleibt nur das, was ohne Zusammenhang ist.Bei der Arbeit der Deutung und Interpretation kann man von einem Prinzip der Hermeneutischen Fülle ausgehen, wonach das Lebven prinzipiell weitaus mehr Sinn und Bedeutung in sich birgt, als aktuell vorzufinden ist. Auch einem Subjekt selbst kommt weitaus mehr Sinn und VBedeutung zu, als es auf den ersten Blick den Anschein hat- ganz so, wie auch ein Kunstwerk weitaus mehr Bedeutung auf sich vereinigt, als dies zunächst wahrnehmbar ist, und ein Text reicher an Bedeutung ist, als sich dies der oberflächlichen Lektüre erschließ. Sogar das Missverständnis kann sich noch als hilfreich bei der Suche nach Bedeutung erweisen: Es lenkt die Deutungsarbeit auf unvorhergesehene Bahnen. Erst recht erkundet eine kreative, experimentelle, neue Interpreation die hermeneutische Fülle: Die Fülle der Deutungsmöglichkeiten sorgt dafür, dass die Arbeit der Hermeneutik , die dem Leben Sinn gibt, niemals an ein Ende kommt.

Indem diese Arbeit bewusst betrieben wird, eignet das Subjekt der Lebenskunst sich selbst hermeneutische Macht an, um nicht von der Deutungsmacht Anderer abhängig zu sein, wenn es darum geht, den Sinn des Lebens zu finden. In der Deutung kann nämlich in der Tat Macht verborgen sein, die subtile Weise in Interpretationen zum Ausdruck kommt, die nicht als solche ausgewiesen sind, da sie die Selbstverständlichkeit einer Wahrheit für sich in Anspruch nehmen. Lebenskunst macht aus der Arbeit der Deutung eine reflektierte Tätigkeit und begründet eine autonome Hermeneutik, die dem Subjekt erlaubt, sich selbst aufs Verstehen zu verstehen und eigenständig Bedeutung zu erschließen, statt weiterhin einer heteronomen, von anderen bestimmten Hermeneutik unterworfen zu bleiben- ein Element der Selbstsorge und Ausdruck der Selbstmächtigkeit."

 

Seite 185:

" Der privilegierte Gegenstand der autonomen Hermeneutik aber ist die Deutung des eigenen Lebens. Um ihrer willen bedarf das Subjekt einer gewissen Distanz zu sich, denn dies hat den Vorteil, wie von einem Punkt außerhalb seiner selbst auf sich und das eigene Leben zu blicken, das gelebte Leben zu rekapitulieren, dessen Zusammenhänge zu deuten und in Bezug zu jenem Verständnis des schönen und wahren Lebens zu setzen, das der Existenz grundlegende Bedeutung verleihen kann und einen Begriff vom "Glück" zu geben vermag."


Eine Schlussfolgerung zunächst für uns aus dem vorstehenden Zitat:

Wenn Sinn "Zusammenhang" ist- wie oben beschrieben- also der Zusammenhang zwischen sich selbst und einem "anderen", dann kann dem Leben nur dann letztlich Sinn gegeben werden, wenn dieses "andere" für mich einen "Wert"- ideell oder materiell- besitzt. Zur Klärung der "Zusammenhänge", die uns und unserem Leben einen Sinn geben können, ist es "sinnvoll", sich auch über das eigene "Wertesystem" und seine Prioritäten eine Klarheit zu verschaffen.

Der zitierte Text verweist weiterhin auf die herausragende Bedeutung der Interpretation, die dem Leben durch das Knüpfen von Beziehungen einen Sinn geben kann.

Wenn wir die Aussage von Wilhelm Schmid akzeptieren, dass das Knüpfen von Beziehungen sich eines Hilfsmittels bedienen kann,"indem man nämlich einen Text zur Hand nimmt, ein Buch, einen Aufsatz, den man zu lesen und zu interpretieren sucht", dann spricht nichts dagegen, dass auch ein Werk der bildenden Kunst ein solches Hilfsmittel sein kann. Dabei ist vorausgesetzt, dass das Werk selbst interpretationsoffen ist und sich inhaltlich zum Knüpfen von Beziehungen zwischen sich selbst und dem eigenen Leben eignet.

Das interpretierte Werk kann dem Subjekt auch die gewisse Distanz bieten, der Betrachter kann ebenfalls "wie von einem Punkt außerhalb seiner selbst auf sich und das eigene Leben blicken" und relativ unbefangen dessen Zusammenhänge deuten und somit möglicherweise Sinn herstellen.

Die Aussage von Schmid "Während man den Text interpretiert, interpretiert man in Wahrheit sich selbst und das eigene Leben; die subjektive Fragestellung spiegelt sich im objektiven Material: Das macht die Unverzichtbarkeit des Umgangs mit Texten für die Lebensführung aus." versuchen wir mit vielen unserer Werke prinzipiell auf Werke der bildenden Kunst, hier speziell auf Werke der Reliefkunst zu erweitern.

Ob uns dies im vorliegenden Fall wenigstens teilweise gelungen ist, können wir wir selbst nicht, sondern nur der Betrachter entscheiden. Uns selbst hat uns der Gestaltungsprozess durchaus die erwähnte Distanz zum Blick auf das eigene Leben geboten und war insofern für uns auch "sinnvoll"..


"...es (sollte) eine ernsthafte Warnung sein (,,,), dass wir bei der Bestimmung des Sinn unseres Lebens nicht jeden beliebigen Sinn auswählen können, der uns gerade durch den Kopf schießt. Was immer wir als Sinn unseres Lebens bestimmt haben, müssen wir vor dem Gerichtshof der allgemeinen Meinung rechtfertigen. Man kann nicht einfach sagen: "Ich persönlich sehe den Sinn meines Lebens darin, Haselmäuse zu ersticken", und hoffen, damit durchzukommen.

Auch geht es hier nicht um eine Schöpfung aus dem Nichts.Die Menschen bestimmen sich selbst- aber nur auf der Basis einer tieferen Abhängigkeit von der Natur, der Welt und anderen Menschen."

Terry Eagleton: Der Sinn des Lebens, Seite 111, Ullstein, 2008,
ISBN: 978-3-550-08720-2


Da wir besonders am Knüpfen und Klären von "sinnstiftenden" Zusammenhängen interessiert sind, die zwischen den Bestandteilen und Erfahrungen des menschlichen Lebens existieren, halten wir die folgende Aussage für überaus bedenkenswert:

" Gut oder böse, rechts oder links, richtig oder falsch, Liebe oder Hass, Ja oder Nein, schön oder hässlich, gerecht oder ungerecht: Wir denken in diesen Polaritäten. Sie bestimmen unser Denken, unsere Wahrnehmung und prägen unser Handeln.
...
Tatsächlich spielt sich das alltägliche Leben jedoch >zwischen den Polen< ab.
...
Dem Dazwischen auf die Spur kommen ist ähnlich diffizil wie das Ich zu verstehen. Weisheit ist die Kunst, die Mitte zu finden. Es geht dabei nicht um angepasste Mittelmäßgkeit, nicht darum, es jedem recht zu machen, sondern um Gespür für Unterschiede, Einheit und das rechte Maß. Pathetisch gesagt: Es geht geht um den "Sinn des Lebens". Die Frage danach ist für niemanden eine Luxusangelegenheit, selbst wenn es so scheint. Mit ihr steht etwas Fundamentales auf dem Spiel: Wie wir mit unserer Endlichkeit, mit der festen Aussicht auf den Tod umgehen."

Gert Scobel: Weisheit- Über das, was uns fehlt, Seite 440, Dumont, 2008, ISBN 978-3-8321-8016-4


Wer ein Warum hat, dem ist kein Wie zu schwer. (Friedrich Nietzsche)

 

ZURÜCK ZUR HAUPTSEITE