Über den Sinn

In unserem Werk verknüpfen wir Fragen nach den individuell möglichen Werten und Glücksquellen des menschlichen Lebens, nach unseren möglichen Sinnempfindungen und unseren Einstellungen, die wir zu grundsätzlichen Problemen, denen wir uns stellen müssen, mit Darstellungen auf einem von uns geformten Material, speziell Reliefs.

Was für einen Sinn kann diese Verknüpfung von Fragen, die das Leben uns stellt, mit den Darstellungen auf unseren Werken für uns selbst und den Betrachter der Reliefs und den Leser des beigefügten Textes haben?

Wir beginnen mit einem bereits an anderer Stelle aufgeführten Zitat von Sigmund Freud:

"Das Leben, wie es uns auferlegt ist, ist zu schwer für uns, es bringt uns zuviel Schmerzen, Enttäuschungen, unlösbare Aufgaben. Um es zu ertragen, können wir Linderungsmittel nicht entbehren. (Es geht nicht ohne Hilfskonstruktionen, hat uns Theodor Fontane gesagt.) Solcher Mittel gibt es vielleicht dreierlei; mögliche Ablenkungen, die uns unser Elend gering schätzen lassen, Ersatzbefriedigungen, die es verringern, Rauschstoffe, die uns für dasselbe unempfindlich machen. ... solch eine Ablenkung ist auch die wissenschaftliche Tätigkeit. Die Ersatzbefriedigungen , wie die Kunst sie bietet, sind gegen die Realität Illusionen, darum nicht minder psychisch wirksam dank der Rolle, die die Phantasie im Seelenleben behauptet hat. " [1]

Diese Aussage von Freud wirft eine durchaus nicht triviale Frage auf: Was ist überhaupt "Realität"? Zumindest in weiten Bereichen der menschlichen Wahrnehmung konstruiert sich jeder Mensch seine eigene Realität selbst. Seine Wahrnehmungen sind dann Grundlage für die weitere Gestaltung seines Weltbildes und des Bildes, das er von seinem Leben hat, wobei seine Wahrnehmung bereits durch das "vorher" vorhandene Weltbild beeinflusst worden ist. Beispiele im privaten und gesellschaftlichen Bereich gibt es hierfür zuhauf- grundsätzliche Unsicherheiten werden häufig durch (unbedingtes) Glauben ersetzt, der im Extremfall als "Wissen", als Realität angesehen wird. Dieses "Wissen" wird dann häufig mit großem Fanatismus als wertvolles Beglückungsgut für den Rest der Menschheit vorgesehen- die Bereiche der Religionen und der Politik bieten dafür besonders beeindruckende Beispiele in der Geschichte der Menschheit- auch die realen Demokratien sind in dieser Hinsicht keine Ausnahmen. "Per se" geradezu fürchterliche Überzeugungen, Deutungen der Geschichte und darauf aufbauenden geradezu grauenhafte Handlungen, dem Leben der Menschen Sinn zu geben, brauchen wir hier wohl nicht extra zu erwähnen. Viele dieser von höherer Stelle "vorgefertigten" Sinngebungen und Beeinflussungen der Wahrnehmung dienten und dienen wohl aber eher dem Machtgewinn und Machterhalt von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen.

Wir räumen unumwunden ein, dass sich im Laufe des Lebens unsere Wahrnehmung der "Realität" und ihre Interpretation nicht unwesentlich geändert haben- etwa durch Wegfall von Illusionen oder durch das Begreifen von "Lebenslügen".

Die Relativität der "Realität", der wahrgenommenen und schriftlich niedergelegten Realität, zeigt sich besonders deutlich in der Geschichte, das heißt in der Geschichtsschreibung und im Journalismus. In diesen Bereichen sind zum Teil erhebliche Interessen gesellschaftlicher und persönlicher Art vorhanden.

Um die Schmerzen, Enttäuschungen und die unlösbaren Aufgaben des Lebens zu ertragen, sind nicht nur Ersatzbefriedigungen wirksam, sondern auch unsere Einstellung zu diesen Widrigkeiten kann uns das Ertragen erleichtern. Dies ist die Wirkung von Religionen und einigen Weltanschauungen. Die Anzahl von "vorgefertigten" Angeboten (der Konfektionsware nicht unähnlich) auf diesem Gebiet ist sehr groß- welchem Angebot man folgt, ist allerdings in vielfacher Hinsicht dem Zufall des Wo und des Wann unterworfen. Ersatzbefriedigungen und Religionen sind allerdings auch recht mühelos miteinander kombinierbar.

Das Aufgehen in der "Arbeit" kann auch dazu dienen, nicht über das Leben nachzudenken und es somit besser zu ertragen- zumindest zeitweise:
"Wenn ich zu arbeiten aufhöre, werde ich niedergeschlagen. Solange ich weitermache, habe ich weniger Zeit, nachzudenken. Ich habe keine Zeit zum Leben- denn ich habe außer der Arbeit überhaupt kein Leben zu leben." (Winston Churchill)

Bereits Epiktet (griechischer Stoiker und Philosoph) erkannte: "Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern die Vorstellungen und Meinungen von den Dingen."

Es ist also für uns sehr bedeutsam, dass wir insbesondere von den Dingen, die wir nicht ändern können und die uns "beunruhigen", eine Vorstellung und Meinung gewinnen, die es uns erlaubt, dennoch ein möglichst erfülltes und angstfreies Leben zu führen. Wer mit einem der vorfertigten Standard-Angebote der Religionen und Weltanschauungen zufrieden ist, der kann sich wahrhaft glücklich schätzen... .

Die unkritische Annahme eines vorgefertigten "Weltanschauungs- oder Religionsangebots" ist zwar für den Einzelnen eine relativ einfache Lösung, sie ist jedoch häufig mit wesentlichen Abstrichen an den eigenen Wertvorstellungen verbunden. Irritierend ist auch häufig die Diskrepanz zwischen "Theorie" und "Praxis", auch derer, die die "Oberpriester" der höheren Wahrheiten sind. Ebenfalls irritierend ist der Umstand, dass sich die Weltanschauungs- und Religionsangebote in der Regel feindlich gegenüberstehen und die Anzahl ihrer Anhänger unbedingt vergrößern wollen- wobei die Toleranz häufig vollends auf der Strecke bleibt.

Die Alternative zur Annahme eines vorgefertigten "Weltanschauungs- oder Religionsangebots" ist jedoch ungleich mühseliger und kann nur als Weg aufgedasst werden.

Ein wichtiger Schritt zur Formung unseres Weltbildes und des Bildes, das wir von unserem Leben und seinen Widrigkeiten besitzen, ist die Interpretation, die auf der Wahrnehmung aufbaut. Dabei ist unsere Wahrnehmung von vorher erfolgten Interpretationen nicht unabhängig.

Von Nietzsche stammt der Satz: "Tatsachen gibt es nicht, nur Interpretationen." Sicherlich ist diese Aussage ziemlich zugespitzt und allgemein in dieser Schärfe nicht gültig, aber sie enthält wohl einen wahren- ziemlich großen- Kern.

Wie wir unser Leben ertragen- um auf Freud zurückzukommen- darüber entscheiden letztlich unsere "Wahrnehmungen" und die darauf aufbauenden Interpretationen unseres Lebens.

Wie unterschiedlich unsere "Wahrnehmungen", unsere Interpretationen, unsere Wertschätzungen und die Gründe dafür sein können, zeigt sich beispielhaft und ganz extrem im Bereich der Kunst- was nicht verwunderlich ist, da sie eben auch ein Teil der Gesellschaft ist und vom Zeitgeist beeinflusst wird.

Es kommt also letztlich ganz entscheidend darauf an, für unser Leben ganz individuelle Interpretationen (falls dies nicht möglich oder erwünscht ist, muss der Betreffende eben auf die Standardangebote zurückgreifen) zu finden, die es nicht nur "erträglich", sondern auch möglichst sinnvoll machen. Ein wesentlicher Punkt wird es sein, gerade auch die unangenehmen, schmerzlichen und auch tragischen Aspekte des Lebens insgesamt für uns wenigstens einigermaßen"erträglich" zu machen.

Die individuellen Interpretationen zu "finden", ist jedoch keine einfache Angelegenheit. Wir sind als die unmittelbar Betroffenen zu sehr befangen, was es für uns schwierig macht, das für uns selbst individuell Wesentliche und Unwesentliche voneinander zu trennen und daraus die sinnvollen Schlussfolgerungen zu ziehen. Diesen Sachverhalt drückt treffend der Satz aus: "Wenn du etwas nicht erkennen kannst, bist du vielleicht zu nah dran."
(Die Quelle des Zitats ist uns leider nicht mehr erinnerlich, Sorry!)

Als eine Möglichkeit, einen gewissen Abstand von uns selbst zu gewinnen, uns von "außen" aus einer gewissen Entfernung zu betrachten und gleichzeitig zu einer "vernünftigen" Interpretation von typischen, aber auch ganz individuellen, Fragestellungen des menschlichen Lebens und auf einen Weg zu ihrer Beantwortung zu gelangen, bieten sich in unseren Augen einige Teilbereiche der Kunst (wobei wir ganz bewusst an dieser Stelle nicht näher auf diesen Begriff eingehen) an. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist die Literatur. Eine Unterstützung der gesellschaftlichen Sinngebung durch die bildende Kunst war und ist im Bereich der Religion und bei weltanschaulich einseitig stark ausgerichteten Gesellschaftssystemen- denen die Wirkung von Kunst auf den Menschen also sehr wohl nekannt ist) sehr verbreitet: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.

Wir sind also mit Freud in Übereinstimmung, wenn wir "Kunst" als ein mögliches Linderungsmittel für die Beschwerlichkeiten und Grausamkeiten des Lebens ansehen- sie kann uns unter anderem darin helfen, uns beim Finden einer individuell angemessenen Interpretation unseres Lebens helfen, indem sie uns den Blick auf uns selbst, auf unsere ureigensten Wünsche, Werte, Anliegen, Ängste und deren Linderungsmittel, ... von einem etwas außerhalb liegenden Standort sehen lässt.

Wem Freud im Zusammenhang "Kunst als Linderungsmittel für das Leben" unpassend herangezogen zu sein scheint, der mag sich mit Woody Allen begnügen:
"Aber eines Tages wird die Sonne erlöschen und das Leben wird auf der Erde verschwinden. Eines Tages wird das ganze Universum verschwinden. Das Leben hat kein Ziel, das Leben hat keinen Sinn. ... Das Leben erlischt in einer Mikrosekunde. Das ist die schreckliche Wahrheit. Und die großen Pessimisten, Nietzsche, Freud oder der Deamatiker Eugene O'Neill, die wussten das. Sie wussten, dass man trinken oder sich belügen oder sich wenigstens eine gute Geschichte ausdenken muss, um diese Wahrheit auszuhalten und mit dem Leben fortzufahren."

Der Autor des Aufsatzes, in dem Freud so zitiert wird, Georg Diez [2] ergänzt: "Das ist also die Kunst: die Wahrheit in Gestalt der Lüge und damit der einzige Weg, die Wahrheit zu ertragen."

Aus diesem Grund haben wir Werke geschaffen, die dem Betrachter einige Anregungen können- sofern er dafür empfänglich ist- einen direkten Bezug zwischen diesen und sich selbst zu schaffen- sie können Fragen stellen und ihn- aus einem gewissen Abstand zu seinem unmittelbaren Erleben- zu subjektiven Antworten ermuntern.

Ein Bezug zu unseren Werken- das ist zumindest unsere Hoffnung- kann mehr sein als ein ästhetisches "Gefallen" oder "Nichtgefallen". Wir versuchen Gefühl und Verstand gemeinsam anzusprechen und den Betrachter zu einer Erkenntnis seiner selbst und seiner speziellen Lebenssituation zu verführen- was nahe liegt, da auch unser Leben- mit individuellen Schwerpunkt- auch durch Gefühl und Verstand geprägt ist. Das Mittel der Verknüpfung ist die Interpretation, die auch in unserem ganz normalen Leben und unserer Haltung zu ihm eine ganz entscheidende Bedeutung hat. Wichtig für ein tiefer gehende Interpretion ist jedoch, dass das Werk eine nicht zu allgemeine, zu beliebige Darstellung eines Themas aufweist- letzteres ist der Anregung der Phantasie in einem bestimmten Gebiet- nach gegenwärtigem Stand des Wissens- nicht zuträglich, was für uns persönlich aus eigener Erfahrung nachvollziehbar ist. Allgemein gehaltene Darstellungen mögen jedoch als Anregung zu einer Meditation aber durchaus geeignet sein, was durchaus ihren besonderen Reiz ausmachen kann.

" ... (es) hilft ein klar erkennbarer Inhalt dem Betrachter, Assoziationen zu finden, z.B. Assoziationen zu persönlich erlebten Geschichten. Diese assoziierten Geschichten wiederum erleichtern es ihm, über das eigene Leben zu reflektieren: Das Bild berührt auf diese Art und Weise persönlicher. Anders ausgedrückt: Abstrakte Kunst regt zwar auf vielfältige Weise an, sie lässt aber einen persönlichen Bezug unwahrscheinlicher erscheinen. Wird z.B. bei einem figurativen Bild eine Person dargestellt, ist eine Assoziation zur persönlichen Lebensgeschichte des Betrachters sehr viel wahrscheinlicher, als wenn Abstraktes dargestellt wird.

Führt man diesen Gedankengang fort, lässt sich vermuten, dass durch weniger Assoziation zur persönlichen Lebensgeschichte auch weniger Selbsterkenntnis ausgelöst wird: Werden keine klar erkennbaren Personen dargestellt (wie im Fall von abstrakter Kunst), so ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Betrachter im Bild erkennt, geringer (geringe Selbstkongruenz).[3]

Wir selbst haben bei der Behandlung eines Themas zunächst unseren spontanen- rein gefühlsmäßigen- Assoziationen freien Lauf gelassen und gegebenenfalls noch zusätzliche Informationen eingeholt- unsere Assoziationen damit erweitert und uns schließlich durch Auswahl und Abstimmung von Gefühl und Verstand dem Endzustand des Werkes schrittweise, ähnlich einer Iteration, angenähert. Dabei hat sich nicht selten ergeben, dass uns das eigene Werk nach Fertigstellung zu weiteren Assoziationen und neuen Interpretationen und Einsichten angeregt hat.

Mögen dem Betrachter unsere konkreten Werke nicht gefallen und er mit ihnen garnichts anfangen können, so ist vielleicht doch zumindest unser Ansatz für ihn bedenkenswert- ob er ihm zustimmt, ganz oder teilweise, oder ob er ihn ablehnt, ist eine ganz andere Sache. Vielleicht erhält durch die ganz persönliche Interpretation des Betrachters der hier gegebenen Darstellung, das Gesamtwerk- bestehend aus den Reliefs und den Hinweisen auf mögliche Interpretationsbereiche, für ihn einen gewissen Sinn, auch unabhängig von seiner Zustimmung oder Ablehnung.


[1] Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1994

[2] Georg Diez: Es ist nur ein Trick, Der Spiegel, Nr. 49, 1.12.2014, Seite 133

[3] Jens Rowold: Auf den Inhalt kommt es an, Seite 48, Herausgeber Walter Schurian, LIT- Verlag, 2001, ISBN 3-8258-5636-4

Zitat (Winston Churchill) aus Besprechung des Buches: Thomas Kielinger: "Winston Churchill. Der späte Held. Eine Biografie", Verlag H.Beck, 2014; Beprechung in WELT AM SONNTAG, Nr.39, Seite 51, 28.9.2014)