Der Sonne und in dem Tod kann man nicht ins Gesicht blicken. (FRANCOIS DE LA ROCHEFOUCAULD)


Um dem Betrachter dieser Werke einen besseren "Einstieg" in ihre mögliche Interpretation und in seine Assoziationen zu erleichtern, ziehen wir einige Erkenntnisse aus dem Bereich der Psychologie und Psychoanalyse heran [1].

Da das Thema unserer Plaketten sich zum großen Teil auf die individuelle Lebensgestaltung bezieht, hat auch das Thema "Tod" direkt oder indirekt eine große Bedeutung für unser Werk. Gerade das Bewusstsein der zeitlichen Begrenztheit des Lebens wird seiner Gestaltung und der Entwicklung der Anlagen eines Menschen eine entscheidende Wichtigkeit verleihen. In diesen Zusammenhang gehört auch der Versuch, unser- im ganz allgemein menschlichen Sinne- Verhältnis zum Tod, des eigenen und auch des anderen, zu klären. Wie gehen wir mit unserer Angst um? Welche Möglichkeiten sehen wir persönlich, das Gefühl der Bedrängung durch den Tod in einer intensiveren, phantasievolleren, möglichst angstfreien Gestaltung unseres Lebens zu "nutzen"? Kann uns dieses Bewusstsein unserer Endlichkeit zu einer Veränderung unserer Werteskala, unserer persönlichen Prioritäten veranlassen?

Bei nicht wenigen Menschen stellt sich eine solche Veränderung der Werteskala erst ein, wenn sie selbst oder eine ihnen nahestehende Person von einer schweren Krankheit betroffen oder mit dem Tod direkt konfrontiert sind.

Wieso "sollte" sich der Mensch bereits vorher mit dem Gedanken an den Tod befassen? [1]

Seite 16:
"Ich habe- als ein Mensch, der selbst in nicht allzu ferner Zukunft sterben wird, und als Psychiater, der Jahrzehnte damit verbracht hat, sich mit der Todesfurcht zu befassen- das deutliche Gefühl, dass uns die Konfrontation mit dem Tod erlaubt, statt eine giftige Büchse der Pandora zu öffnen, das Leben in reicherer, mitfühlenderer Form wieder aufzunehmen."

Seite 188:
"Und Paul Theroux sagte, dass der Tod so schmerzlich zu betrachten sei, dass er uns dazu bringe, "das Leben zu leben und mit solcher Leidenschaft zu schätzen, dass dies der letztendliche Grund aller Freude und aller Kunst sein mag."
...
"Manche denken, es müsse tödlich sein, sich so wie ich in den Tod zu vertiefen. ... Ich versuche zu vermitteln, dass es das Grausige zertreut, wenn man sich mit dem Tod beschäftigt."

 

Seite 10:
"Seit ewigen Zeiten haben grübelnde Philosophen versucht, die Wunde der Sterblichkeit zu bedecken und uns zu helfen, ein Leben in Harmonie und Frieden zu führen. Als Psychotherapeut, der viele Personen behandelt, die an Todesfurcht leiden, habe ich festgestellt, dass die alten Weisheitslehren, vor allem die der antiken griechischen Philosophen, heutzutage nach wie vor relevant sind."

"In seinen (Epikurs) Augen gab es nur ein wirkliches Ziel von Philosophie: das menschliche Leid zu lindern. Und die Grundwurzel des Elends? Epikur glaubte, dass es unsere allgegenwärtige Furcht vor dem Tod sei. Die erschreckende Vision des unausweichlichen Todes, so sagte er, störe die Lebensfreude und lasse keine Freude ungetrübt."

   

 

 

Seite 11:
" Viele Heranwachsende heute reagieren auf die Todesfurcht, indem sie sich in ihrem virtuellen Leben- in ihrem zweiten Leben- , etwa in gewalttätigen Videospielen, zu Meistern über den Tod machen. Andere trotzen dem Tod mit Galgenhumor oder todesverachtenden Liedern oder indem sie Horrorfilme mit Freunden anschauen. In meiner frühen Jugend ging ich zweimal in der Woche in ein kleines Kino, ..., wo ich mich zusammen mit meinen Freunden durch Horrorfilme schrie und die endlosen Filme, die die Barbarei des Zweiten Weltkriegs darstellten, begaffte."

Seite 12:
"Manche Jugendliche trotzen dem Tod, indem sie waghalsige Risiken eingehen. Einer meiner männlichen Patienten- der mehrere Phobien und eine alles durchdringende Angst hatte, jeden Moment könne eine Katastrophe passieren- erzählte mir, dass er mit sechzehn mit dem Fallschirmspringen begonnen hatte und Dutzende Male abgesprungen war. Nun, mit Blick zurück, meinte er, dass es eine Form war, mit seiner anhaltenden Angst vor der eigenen Sterblichkeit umzugehen."

 

 

   

Seite 13:
"Manche Menschen- höchst überzeugt von ihrer Immunität- leben heldenhaft, oft ohne Rücksicht auf andere oder auf sich selbst. Andere sind bemüht, die schmerzhafte Isoliertheit des Todes durch Verschmelzung zu überwinden- mit einer geliebten Person, einer Sache, einer Gemeinschaft, einem göttlichen Wesen. Todesfurcht ist die Mutter aller Religionen, die auf die eine oder andere Weise versuchen, die Pein unserer Endlichkeit in Schranken zu halten. Gott, überkulturell formuliert, mildert häufig nicht nur den Schmerz der Sterblichkeit durch irgendeine Vision von ewigem Leben, sondern lindert auch die furchterregende Isolation durch die Option einer ewigen Präsenz und liefert einen klaren Plan für ein sinnvolles Leben.

Doch trotz der standhaftesten, ehrenwertesten Abwehrmaßnahmen können wir die Furcht vor dem Tod niemals völlig bändigen: Sie ist immer da und lauert in irgendeiner versteckten Spalte des Verstandes. Vielleicht können wir, wie Plato sagt, den tiefsten Teil unseres Selbst nicht belügen."

 

Seite 20:
" Der tschechische Schriftsteller Milan Kundera weist darauf hin, dass wir auch durch den Akt des Vergessens einen Geschmack des Todes erhalten: Was am Tod am erschreckendsten sei, sei nicht der Verlust der Zukunft, sondern der Verlust der Vergangenheit. Tatsächlich sei der Akt des Vergessens eine Form von Tod, die im Leben stets gegenwärtig sei."

Seite 55:
"... ein Thema von großer Wichtigkeit für viele, die über den Tod nachdenken oder ihm gegenüberstehen: Die positive Korrelation zwischen der Angst vor dem Tod und dem Gefühl eines ungelebten Lebens.

Mit anderen Worten, je geringer die Zufriedenheit im Leben, desto größer die Todesfurcht; je mehr man es versäumt, sein Leben voll auszuleben, desto mehr wird man den Tod fürchten. Nietzsche drückte diese Idee eindrucksvoll in zwei kurzen Epigrammen aus: "Lebe dein Leben" und: "Stirb zur rechten Zeit" - ebenso wie Alexis Sorbas drängte: "Lass dem Tod nichts als eine ausgebrannte Kerze", und Sartre in seiner Autobiografie: "Gemächlich ging ich meinem Ende entgegen... wobei ich sicher war, dass das letzte Empfinden meines Herzens seinen Niederschlag finden werde auf der letzten Seite des letzten Bandes meiner Werke und dass der Tod bloß einen Toten hinwegnehmen würde."

   

 

 

Seite 81:
"Epikur glaubte, dass die eigentliche Aufgabe der Philosophie darin bestehe, das menschliche Elend zu lindern. Und was ist die Wurzel des menschlichen Elends? Epikur hatte keinen Zweifel an der Antwort auf diese Frage: Es ist unsere allgegenwärtige Angst vor dem Tod.
Der erschreckende Gedanke an den unausweichlichen Tod, so betonte Epikur, schlägt sich auf unsere Lebensfreude wider und läßt keine Freude ungetrübt. Da nichts, was wir tun, unser Verlangen nach ewigem Leben befriedigen kann, sind alle Betätigungen in sich nicht lohnenswert. Viele Menschen entwickelten sogar Hass auf das Leben- ironischerweise bis hin zum Selbstmord, andere stürzten sich in hektische und ziellose Aktivität, die keinen anderen Sinn als die Vermeidung des Schmerzes habe, die der conditio humana, dem menschlichen Dasein, innewohne.

Epikur benennt die endlose und unbefriedigende Suche nach neuen Betätigungsfeldern, wobei er dringend empfiehlt, tief sitzende Erinnerungen an angenehme Erfahrungen zu speichern und sich immer wieder ins Gedächtnis zu rufen. Wenn es uns gelingt, solche Erinnerungen abzurufen, so führt er aus, werden wir kein Bedürfnis mehr nach endlosem hedonistischen Streben haben.

...

Er betonte, dass den meisten Menschen ihre Todesängste nicht bewusst seien, sondern ihren Ausdruck in getarnter Form fänden, wie zum Beispiel in exzessiver Religiosität, einer haltlosen Anhäufung von Wohlstand und dem blinden Gieren nach Macht und Ehren, alles eben, was eine Version vorgetäuschter Unsterblichkeit bietet. "

Epikur baut sein Ideenwerk auf drei Grundannahmen oder Argumenten auf:
- Die Seele ist sterblich
- Der Tod entspricht dem ultimativen Nichts
- Der Zustand vor der Geburt entspricht dem Zustand nach dem Tod- beide umrahmen das Sein, das Leben des Menschen. Die wird auch als Argument der Symmetrie bezeichnet.

Seite 83:
"Epikur lehrte, dass die Seele sterblich ist und mit dem Körper zusammen vergeht, ... .
Epikur verdammte vehement die zeitgenössischen religiösen Führer, die aus Machtstreben die Todesangst ihrer Anhänger noch steigerten, indem sie vor Strafen warnten, die denjenigen nach dem Tode zuteil würden, die bestimmte Regeln und Vorschriften nicht beachteten. (In den folgenden Jahrhunderten fügte die religiöse Ikonographie des mittelalterlichen Christentums, die die Strafen der Höölr darstellte- wie etwa im 15. Jahrhundert in den Bildern des Jüngsten Gewrichts von Hieronymus Bosch zu sehen-, der Furcht vor dem Tod eine blutrünstige visuelle Dimension hinzu.)

Wenn wir sterblich sind und die Seele nicht überlebt, argumentierte Epikur nachdrücklich, dann haben wir in einem Leben nach dem Tode nichts zu fürchten. Wir werden kein Bewusstsein haben, kein Bedauern hinsichtlich des Lebens, das wir verloren haben, noch werden wir irgendetwas von den Göttern zu fürchten haben."

Seite 84:
"Der Tod (ist) für uns nichts (...), denn die Seele ist sterblich und zerstreut sich beim Tod. Was aufgelöst ist, kann nicht wahrnehmen, und was nicht wahrgenommen wird, ist für uns nichts. In anderen Worten: Wo ich bin, ist der Tod nicht; wo der Tod ist, bin ich nicht. Daher, führt Epikur an, warum den Tod fürchten, wenn wir ihn niemals wahrnehmen können?"

Seite 85:
"Epikurs drittes Argument besagt, dass unser Zustand des Nichtseins nach dem Tod derselbe ist, wie der vor unserer Geburt.
...Ich persönlich fand es bei vielen Gelegenheiten tröstlich, daran zu denken, dass die beiden Zustände des Nichtseins- die Zeit vor der Geburt und die Zeit nach dem Tod- identisch sind und dass wir so viel Angst vor dem zweiten Meer der Dunkelheit haben und so wenig vor dem ersten."

 

 

   

Seite 106:
"Das Konzept, der zu werden, "der du bist", ist eng verbunden mit anderen Sprüchen Nietzsches- "Lebe dein Leben" und "Stirb zur rechten Zeit". In all diesen Varianten ermahnt uns Nietzsche , ein ungelebtes Leben zu vermeiden. Er sagt: Verwirkliche dich, erkenne dein Potenzial, lebe kühn und voll. Dann, und nur dann, stirb ohne Bedauern."

Seite 131:
"Der Welleneffekt in Aktion
" (Es) kann der Glaube, nicht als individuelles Dasein, aber durch Werte und Handlungen auch in zukünftigen Generationen fortzuwirken und zu überdauern, ein starker Trost für jeden sein, der sich um seine oder ihre Sterblichkeit sorgt."

Als Beispiel führt Irvin D.Yalom die säkulare Interpretation des Schauspiels Jedermann an: "... (Sie) legt nahe, dass Fortwirken- das heißt die Realisierung der guten Taten, des vorteilhaften Einflusses auf andere, der einen selbst überdauert- den Schmerz und die Einsamkeit der letzten Reise lindern kann."

 

[1] Irvin D. Yalom: In die Sonne schauen-Wie man die Angst vor dem Tod überwindet, btb- Verlag, 2008, ISBN 978-3-442-73838-0

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